Experte: Anthroposophie nicht verantwortlich für geringe Impfquote

Experte: Anthroposophie nicht verantwortlich für geringe Impfquote
01.12.2021
epd
epd-Gespräch: Franziska Hein

Frankfurt a.M., Berlin (epd). Der Esoterik-Experte Kai Funkschmidt empfiehlt mehr Gelassenheit beim Umgang mit Ungeimpften. Sie schadeten in erster Linie sich selbst, sagte der Referent für Esoterik und Okkultismus bei der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen in Berlin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Politik und Wissenschaft müssten einfühlsam mit ängstlichen Ungeimpften aus dem esoterischen Spektrum kommunizieren. Man müsse sie auf der emotionalen Ebene ansprechen, für die sie besonders empfänglich seien. „Drohen und Schimpfen hilft nicht, das weckt Trotz und innere Rebellion“, sagte er.

Die Anthroposophie sei zu Unrecht bei der Debatte über Corona-Leugner und Impfskeptiker in den Fokus geraten, sagte der Theologe. Sie sei nicht allein verantwortlich für die geringe Corona-Impfquote. Das passe rein statistisch nicht. Der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland gehören rund 12.000 Menschen an. Selbst zu ihren Hochzeiten in den 80er Jahren habe sie nie mehr als rund 60.000 Mitglieder gehabt.

Die Anthroposophie geht auf Lehren Rudolf Steiners (1861-1925) zurück. Sie sei eine geschlossene Weltanschauung und gehöre zum Spektrum der Systemesoterik. Diese unterscheide sich von der „spirituellen“ Strömungsesoterik, die gesellschaftlich viel weiter verbreitet ist. Die meisten, die sich spirituell nennen, wüssten mit den anthroposophischen Lehren nichts anzufangen, viele hätten noch nie davon gehört, sagte er.

Die Anthroposophie sei eine kleine Gruppe unter vielen, die auch als Spätfolge der sogenannten „Lebensreformbewegung“ am Beginn des 20. Jahrhunderts populär wurden. Die Lebensreformbewegung sah in einer vorwiegend vegetarischen Ernährung, freier Sexualität und den Selbstheilungskräften des Körpers die Grundlage für ein gesundes Leben im Einklang mit Umwelt und Natur. Daraus sei nach dem Zweiten Weltkrieg auch unter fernöstlichen Einflüssen eine Art esoterischer Mainstream entstanden. Dieser habe sich etwa in der gegenkulturellen Hippie-Bewegung der 60er und 70er Jahre gezeigt und sei politisch in den 80er Jahren in der Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung und somit letztlich auch in den Anfängen der Grünen gemündet. In diesem Milieu sei eine Impfskepsis gang und gäbe.

Viele Vorstellungen der Reformbewegung seien heutzutage Allgemeingut, sagte Funkschmidt. Dazu gehöre beispielsweise eine gewisse Fortschrittsskepsis, eine Zurückhaltung gegenüber der „Schulmedizin“ und damit einhergehend ein Vertrauen in Naturheilverfahren und „Alternativmedizin“. Dahinter stehe der Glaube, dass die Natur per se gut sei. „Das sind Projektionen der westlichen Gesellschaft, die in die Natur projiziert, wonach man sich in der industrialisierten und urbanisierten Welt sehnt“, sagte er. Hier liege auch der Kern für eine „diffuse Angst“ vor einer Impfung, die in den Körper eingreife.