Frankfurt a.M. (epd). Die Forderungen aus Politik und Wissenschaft für eine gesetzliche Impfpflicht zur Bekämpfung der Corona-Pandemie mehren sich. Der Vizepräsident der Wissenschaftsakademie Leopoldina, Robert Schlögl, sprach sich am Montag für eine sofortige Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen aus. „Jeder Tag, den wir hier vertun, ist ein Tag, der schwere Gesundheitsschäden und Tote fordert“, sagte er am Montag im RBB-Inforadio.
Die großen Wohlfahrtsverbände plädierten hingegen für eine allgemeine Pflicht zur Corona-Impfung. Der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, sagte, man sei gemeinsam der Überzeugung, „dass wir die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht brauchen“. Er betonte, die Impfquoten des Personals in Einrichtungen des evangelischen Wohlfahrtverbandes seien hoch.
Weil weiterhin viele Menschen in Deutschland nicht gegen Corona geimpft sind, wird über eine rechtliche Impfpflicht diskutiert. Aktuell sind nach Angaben des Robert Koch-Instituts 68,4 Prozent der Bevölkerung vollständig gegen das Virus geimpft.
Der designierte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) warb für eine Abstimmung ohne Fraktionszwang im Bundestag. „Bei solchen medizinethischen Themen hat es sich in der Vergangenheit bewährt, sie zur Gewissensfrage zu erklären“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Montag/online). Buschmann soll in der künftigen Koalition von SPD, Grünen und FDP Justizminister werden.
Die FDP-Fraktion im Bundestag hatte in der vergangenen Woche Bereitschaft für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht signalisiert. Sie würde nur das Personal betreffen, das etwa in Pflegeheimen und Krankenhäusern Kontakt zu besonders gefährdeten Personengruppen hat.
Der Staats- und Kirchenrechtler Hans Michael Heinig schlug ein Ultimatum zur Einführung einer rechtlichen allgemeinen Impfpflicht vor. Wenn eine epidemiologisch erforderliche Impfquote bis zu einer festgelegten Frist nicht erreicht werde, sollte eine Pflicht greifen, sagte der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zugleich müsse die Politik einen Aktionsplan beschließen, mit dem die bisherigen Schwächen der Impfkampagne gezielt beseitigt würden.
Die Frist für eine solche „konditionierte Impfpflicht“ könnte dem Vorschlag zufolge beispielsweise im März ablaufen. „Aus rechtsstaatlichen Gründen müsste ein Verfahren zur Bestimmung der Impfquote festgelegt werden, etwa ein Bundestagsbeschluss auf Grundlage eines Berichts des Robert Koch-Instituts“, sagte Heinig. Die zu erreichende Impfquote müsste nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bei etwa 90 Prozent liegen.
Sein Kollege Gunnar Duttge, Leiter der Abteilung für Medizin- und Biorecht an der Universität Göttingen, betonte, er halte eine allgemeine Impfpflicht für mit dem Grundgesetz vereinbar. „Dass das Grundgesetz eine Impfpflicht nicht zulasse, ist ein weit verbreiteter Irrtum“, sagte er dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Montag). „In Wirklichkeit kann der Staat unter Wahrung des Ordnungsrahmens der Grundrechte sehr viel machen.“
Die Gesundheitsämter meldeten dem RKI am Montag bundesweit 29.364 bestätigte Neuinfektionen binnen eines Tages. Die Zahl der Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche lag bei 452,4. Damit erreichte die Sieben-Tage-Inzidenz einen neuen Höchststand. Die Zahl der im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorbenen Menschen liegt in Deutschland inzwischen bei 100.956.