Berlin (epd). Angesichts der drohenden und bereits eingetretenen Überlastung von Krankenhäusern durch Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen haben die Intensiv- und Notfallmediziner ihre Leitlinien für die sogenannte Triage aktualisiert. Danach darf der Impfstatus eines Covid-19-Patienten keine Rolle spielen, wenn es zu wenige Intensivbetten gibt und die Ärzte auswählen müssen, welche Patienten behandelt werden. Das geht aus den aktuellen Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hervor, die am Freitag vorgestellt wurde.
Sie stellen außerdem klar, dass Covid-19- Erkrankte und alle anderen Patientinnen und Patienten bei Auswahlentscheidungen gleichbehandelt werden müssen, auch die, die auf eine Operation warten und deren Zustand sich durch eine weitere Verschiebung lebensbedrohlich verschlechtern würde. Der Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Georg Marckmann, erklärte, Ärzte seien zur Hilfe verpflichtet unabhängig davon, wie sich ein Patient verhalten habe. „Wir sind Retter, keine Richter.“ Das gelte auch für Covid-19-Patienten, die sich nicht haben impfen lassen.
Die DIVI-Empfehlungen richten sich an alle medizinischen Teams, die Auswahlentscheidungen treffen müssen. Das entscheidende Kriterium ist die Erfolgsaussicht für die Behandlung eines Patienten. Das Alter oder eine Vorerkrankung spielen nur dann eine Rolle, wenn sie die Prognose verschlechtern. Die Empfehlungen waren im März 2020 zu Beginn der Corona-Pandemie erstmals veröffentlicht worden, als es noch keine Impfungen gab. Deshalb und wegen der sich dramatisch zuspitzenden Lage in der vierten Welle wurden sie jetzt aktualisiert.
Der Internist und frühere DIVI-Präsident Uwe Janssens sagte, „das sind ganz tragische Entscheidungen, aber sie sind unvermeidbar“. Man habe sich bereits zu Beginn der Pandemie damit auseinandergesetzt. Er appellierte zugleich eindringlich an die Politik, jetzt „schnellste Entscheidungen für ganz Deutschland“ zu treffen, damit die Teams in den Kliniken nicht in solche Situationen kämen. Die Infektionsketten müssten unterbrochen werden. Angesichts der Zahlen sei in den nächsten Tagen täglich mit Hunderten neuer Intensivpatienten zu rechnen. In Kürze werde der Höchststand von 5.723 Covid-19-Patienten vom Januar dieses Jahres auf den Intensivstationen erreicht sein und dann mit Sicherheit deutlich überschritten werden - bei knapper gewordenen Ressourcen, sagte Janssens.
Nach Angaben der DIVI waren am Donnerstag dieser Woche 4.202 Covid-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, 132 mehr als am Vortag. 2.163 müssen beatmet werden. Insgesamt sind bundesweit 19.829 Intensivbetten für erwachsene Patienten belegt und 2.334 noch frei. In den hochbelasteten Kliniken im Osten und Südosten Deutschland sind mehr als die Hälfte der Intensivpatienten Covid-19-Patienten.
Die Intensivmediziner hatten gefordert, dass planbare Operationen in allen Krankenhäusern in Deutschland verschoben werden, soweit dies die entsprechenden Patienten nicht gefährde, um Kliniken mit extrem hohen Patientenzahlen zu entlasten. Die Gesundheitsminister der Länder hatten am Donnerstag einen entsprechenden Beschluss gefasst. Die Bundeswehr wollte am Nachmittag mit ersten Verlegungsflügen beginnen, wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums mitteilte.
Die Gesundheitsämter haben dem Robert Koch-Institut am Freitag 76.414 Neuinfektionen binnen 24 Stunden gemeldet, das ist ein neuer Höchststand. Die 7-Tage-Inzidenz stieg auf 438,2, sie gibt an, wie viele Menschen pro 100.000 Einwohnern sich binnen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt haben. 357 weitere Menschen starben im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung.