Augsburg (epd). Der Medizinrechtler Josef Franz Lindner wirbt angesichts überlasteter Kliniken für eine gesetzliche Corona-Impfpflicht für Pflegefachkräfte. „Ich frage mich, worauf man angesichts der aktuellen Zustände auf den Intensivstationen noch warten will“, sagte der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Augsburg dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Der Kollaps ist nicht mehr weit, wenn man den Intensivmedizinern glaubt. Eine Impfpflicht für Pflegefachkräfte ist nicht nur rechtlich möglich, sondern auch geboten.“
Der Staat habe eine Schutzpflicht und müsse sicherstellen, dass Menschen jederzeit in Kliniken optimale Hilfe bekommen, betonte der Jurist. „Das ist nicht mehr gewährleistet, wenn die Intensivstationen kollabieren, weil zu viele ungeimpfte Corona-Patienten gleichzeitig ein Intensivbett brauchen.“ Die Verhinderung einer solchen Situation sei der verfassungsrechtlich legitime Zweck einer Impfpflicht: „Denn mit der Zahl weiterer Impfungen sinkt auch die Zahl der Corona-Intensivpatienten.“
Lindner verwies darauf, dass eine Impfpflicht ein schwerer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Bürgers sei, die vom Grundgesetz per se geschützt sei. „Aber jedes Grundrecht kann auch eingeschränkt werden, wenn es dafür hinreichend gewichtige Gründe gibt. Und hier sage ich, die gibt es.“
Er halte eine solche Pflicht für bestimmte Berufe für erforderlich, denn er sehe kein milderes Mittel, das ebenso gut geeignet wäre, erklärte der Jurist. „Was sollte das auch sein? Noch mehr Aufklärung? Oder setzt man auf 2G oder 3G? Oder wäre ein Lockdown nur für Ungeimpfte oder gar für alle ein milderes Mittel? Wohl kaum.“
Mit der Politik ging Lindner hart ins Gericht. Die These vieler Gesundheitspolitiker, dass eine Corona-Impfpflicht verfassungswidrig sei, sei nicht haltbar und nur eine Ausrede, sagte er. Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) und andere Politiker hätten immer gesagt, es werde keine Impfpflicht geben. „Hinter diese Aussagen können sie nun nicht zurück. Deswegen klammert sich jetzt mancher an den letzten Strohhalm, den er hat, und das ist das Verfassungsrecht.“
Rechtlich wäre eine Impfpflicht für bestimmte Personen nach Angaben des Staatsrechtlers einfach zu regeln. „Das ist Sache des neuen Bundestages. Der müsste das Infektionsschutzgesetz ändern, hier den Paragrafen 20“, erklärte er. „Das können auch nicht die Länder im Alleingang machen, denn hier ist die Kompetenz des Bundes berührt.“