Halle (epd). Mit Glockengeläut, Kranzniederlegungen, Mahnwachen und Kundgebungen ist am Samstag in Halle der Opfer des antisemitischen Synagogen-Anschlags vom 9. Oktober 2019 gedacht worden. Hunderte Menschen hielten am Samstagmittag um 12.04 Uhr auf dem Marktplatz von Halle inne, als die Glocken der Marktkirche und des Roten Turms zum Gedenken an die Opfer und Hinterbliebenen läuteten.
Zu dem Zeitpunkt hatte vor zwei Jahren der schwer bewaffnete Rechtsextremist Stephan B. versucht, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in die Synagoge der Jüdischen Gemeinde zu Halle einzudringen und unter den Betenden ein Blutbad anzurichten. Als er an der Synagogentür scheiterte, erschoss er eine 40 Jahre alte Passantin. Kurze später tötete er einen 20-Jährigen in einem Döner-Imbiss. Auf der anschließenden Flucht verletzte er weitere Menschen schwer. B. wurde im Dezember 2020 zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) rief bei einer Gedenkveranstaltung an den beiden Tatorten zu Zivilcourage auf und warnte vor einer fortschreitenden Verrohung der Gesellschaft. Die Veränderung und Verrohung der Sprache sei ein Warnsignal, sagte der Ministerpräsident. Der Anschlag von Halle zeige, Wort und Tat seien nicht weit voneinander entfernt.
Begleitet wurde Haseloff vom Opferbeauftragten der Bundesregierung, Edgar Franke, Sachsen-Anhalts Landtagsvizepräsidentin Anne-Marie Keding (CDU) und Halles Bürgermeister Egbert Geier (SPD). „Unser besonderes Gedenken gilt den Opfern und ihren Angehörigen, über die der Täter unendliches Leid gebracht hat. Ziehen wir gemeinsam eine rote Linie des Anstands. Diffamierungen des Anderen müssen wir konsequent entgegentreten“, sagte der Ministerpräsident.
Der 9. Oktober 2019 unterstreiche, wie wichtig es sei, die Erinnerung an die Shoa wachzuhalten und von Generation zu Generation weiterzutragen, sagte Haseloff weiter: „Hierfür haben nicht nur die Schulen Sorge zu tragen, sondern auch die Familien, Freundeskreise, Vereine, Verbände und Parteien.“
Halles Bürgermeister Egbert Geier nannte den 9. Oktober 2019 mit den schwärzesten Tag in der Geschichte der Stadt. Die schreckliche Tat habe eine tiefe Wunde geschlagen. „Diese Wunde hinterlässt eine dauerhafte Narbe. Eine Narbe, die wir nicht verstecken wollen. Eine Narbe, die uns mahnt. Und die uns daran erinnert, wie verletzlich wir sind“, sagte Geier.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte am Samstag im RBB-Inforadio, der Kampf gegen Antisemitismus bleibe eine Daueraufgabe. Er hätte sich wirklich gewünscht, sagen zu können, Halle habe eine Wende bedeutet. Dem sei aber nicht so. Antisemitismus sei in Deutschland weiterhin in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt. „Er ist so tief verankert in unserer Kulturgeschichte, dass es eben eine grundsätzliche Arbeit ist, dieses Phänomen zu bekämpfen“, sagte der Bundesbeauftragte. Unter anderem die Proteste gegen die Corona-Politik hätten gezeigt, dass Antisemitismus sehr anpassungsfähig und wandelbar sei.