Prozess gegen ehemaligen KZ-Wachmann von Sachsenhausen eröffnet

Prozess gegen ehemaligen KZ-Wachmann von Sachsenhausen eröffnet
Mehr als 200.000 Menschen waren zwischen 1936 und 1945 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Zehntausende von ihnen wurden ermordet oder kamen auf andere Weise ums Leben. In einem der letzten NS-Prozesse steht nun ein früherer KZ-Wachmann vor Gericht.

Brandenburg an der Havel (epd). Wegen NS-Verbrechen muss sich ein 100-jähriger früherer SS-Wachmann seit Donnerstag in Brandenburg an der Havel vor Gericht verantworten. Als Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen habe er während seiner Dienstzeit zwischen Januar 1942 und Februar 1945 „wissentlich und willentlich“ dazu beigetragen, dass andere in dem Lager grausame und heimtückische Morde begehen konnten, sagte Oberstaatsanwalt Cyrill Klement bei der Verlesung der Anklageschrift am Donnerstag. Insgesamt wird dem Angeklagten Josef S. Beihilfe zu mindestens 3.518 Morden vorgeworfen. (AZ: 11 Ks 326 4/21)

In dem Verfahren geht es unter anderem um die Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener, die Ermordung von Häftlingen durch den Einsatz von Giftgas und allgemein um die Tötung von Häftlingen durch die Schaffung und Aufrechterhaltung lebensfeindlicher Bedingungen. Die Häftlinge seien unter anderem in der extra errichteten Genickschussanlage des Konzentrationslagers erschossen oder qualvoll durch das Giftgas Zyklon B erstickt worden, sagte Klement. Andere Gefangene seien allgemein lebensfeindlichen Bedingungen ausgesetzt worden, an denen sie sterben mussten.

Josef S., der in Sachsenhausen in sechs verschiedenen SS-Kompanien im Einsatz gewesen und zum Jahresbeginn 1944 zum SS-Rottenführer befördert worden sei, habe zu diesen Morden Beihilfe geleistet, betonte Klement. Zum Prozessauftakt erschien in dunklem Anzug und Rollstuhl auch ein Mann, der die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald und Sachsenhausen überlebt hat, der ebenfalls 100-jährige Leon Schwarzbaum. Er hoffe, „dass der letzte Schuldige auch verurteilt wird“, sagte Schwarzbaum kurz vor Prozessbeginn: „Hoffentlich spricht er auch aus, was er getan hat.“

Der Angeklagte, der wenige Wochen vor seinem 101. Geburtstag mit Rollator und im Strickpulli in den Verhandlungssaal kam und das Verlesen der Anklage per Kopfhörer verfolgte, werde sich zu den Vorwürfen nicht in der Sache äußern, sagte später sein Anwalt Stefan Waterkamp.

Nach Angaben der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten hat sich nur ein kleiner Bruchteil der Täter vor Gericht verantworten müssen. Bis 2005 seien in der Bundesrepublik insgesamt 257 Strafverfahren gegen 340 Tatverdächtige des KZ Sachsenhausen geführt worden, hieß es dort. Auch vor sowjetischen Militärtribunalen und in der DDR fanden seinerzeit einige Prozesse statt. Dem stehen nach Aussage von Stiftungsdirektor Axel Drecoll tausende SS-Männer gegenüber, die von 1936 bis 1945 im KZ Sachsenhausen tätig waren.

An dem Verfahren in Brandenburg an der Havel sind auch Überlebende des KZ Sachsenhausen und Nachkommen ehemaliger Häftlinge als Nebenkläger beteiligt, darunter nach Gerichtsangaben aus Israel, Peru, Polen, den Niederlanden und Frankreich. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt. Dann soll dem Angeklagten Gelegenheit gegeben werden, sich zu seinem Leben zu äußern. Ab Ende Oktober soll der Historiker Stefan Hördler als Sachverständiger gehört werden. Der Prozess wurde vom Landgericht Neuruppin nach Brandenburg an der Havel verlegt, damit der Angeklagte einfacher zum Verhandlungsort kommen kann.