Brandenburgs Gedenkstättendirektor begrüßt Prozess gegen KZ-Wachmann

Brandenburgs Gedenkstättendirektor begrüßt Prozess gegen KZ-Wachmann
02.10.2021
epd
epd-Gespräch: Yvonne Jennerjahn

Oranienburg (epd). Wegen NS-Verbrechen muss sich in wenigen Tagen ein 100-jähriger früherer SS-Wachmann des KZ Sachsenhausen in Brandenburg vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord in 3.518 Fällen vor. Der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Axel Drecoll, begrüßt das Gerichtsverfahren.

Deutschland sei es „den Opfern und ihren Nachkommen schuldig, alle Anstrengungen zu unternehmen, um diese Taten aufzuklären und die Tatbeteiligten zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte Drecoll dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Oranienburg: „Nicht zuletzt angesichts der jahrzehntelangen Versäumnisse der Justiz bei der Verfolgung von NS-Verbrechen.“

Dass die deutsche Rechtsprechung mit dem Demjanjuk-Urteil vor einigen Jahren vom Prinzip des individuellen Tatnachweises abgerückt sei und sich nun die letzten lebenden Angehörigen der Konzentrationslager-SS vor Gericht verantworten müssen, sei wichtig, sagte Drecoll: „Kennzeichnend für die Mordmaschinerie in den Konzentrationslagern ist ihre arbeitsteilige Organisation. Jeder SS-Angehörige trug an seiner Stelle dazu bei, dass sie reibungslos funktionierte.“

Nur ein kleiner Bruchteil der Täter habe sich vor Gericht verantworten müssen, sagte Drecoll. Bis 2005 seien in der Bundesrepublik insgesamt 257 Strafverfahren gegen 340 Tatverdächtige des KZ Sachsenhausen geführt worden. Auch vor sowjetischen Militärtribunalen und in der DDR hätten seinerzeit einige Prozesse stattgefunden. Dem stünden jedoch „tausende SS-Männer gegenüber, die von 1936 bis 1945 im KZ Sachsenhausen tätig waren, sei es im Kommandanturstab oder als Angehöriger der Wachtruppe“.

Drei Viertel der Verfahren seien aus Mangel an Beweisen eingestellt worden, sagte Drecoll. Ein Kommandeur der Wachtruppe des KZ Sachsenhausen, der 1947 von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Haft verurteilt worden sei, habe nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik sogar eine hohe Haftentschädigung erhalten.

Der Prozess des Landgerichts Neuruppin soll am kommenden Donnerstag in Brandenburg an der Havel beginnen. An dem Verfahren sind auch Überlebende des KZ Sachsenhausen und Nachkommen ehemaliger Häftlinge als Nebenkläger beteiligt, darunter aus Israel, Peru, Polen, den Niederlanden und Frankreich. Bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin laufen derzeit nach eigenen Angaben noch Ermittlungen gegen weiteres KZ-Personal, in einem Fall aus Sachsenhausen, in zwei Fällen aus Ravensbrück.