Angeklagte KZ-Sekretärin flüchtet vor Prozessbeginn

Angeklagte KZ-Sekretärin flüchtet vor Prozessbeginn
In Itzehoe ist eine ehemalige Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof der Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen angeklagt. Vor Beginn des Prozesses flüchtete die 96-Jährige.

Itzehoe (epd). Eine vor dem Landgericht Itzehoe angeklagte ehemalige Sekretärin des Konzentrationslagers (KZ) Stutthof ist wenige Stunden vor Prozessbeginn geflüchtet. Die 96 Jahre alte Irmgard F. habe am Donnerstag sehr früh morgens mit einem Taxi das Altenheim in Quickborn in Richtung der U-Bahnstation Norderstedt verlassen und sei nun flüchtig, teilte der Vorsitzende Richter Dominik Groß mit. Es sei Haftbefehl erlassen worden, die Angeklagte werde gesucht.

Die Anklage wirft Irmgard F. Beihilfe zu mehr als 11.000 Fällen des Mordes und versuchten Mordes vor. Ihr wird zur Last gelegt, in ihrer Funktion als Stenotypistin und Schreibkraft in der Lagerkommandantur des ehemaligen Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig zwischen Juni 1943 und April 1945 den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von dort Inhaftierten Hilfe geleistet zu haben.

„Die Flucht der Angeklagten ist eine zynische Verachtung der Überlebenden, aber auch des Rechtsstaats“, sagte Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, in Itzehoe. Diese Haltung des Schweigens, Verachtens und Zerstörens sei genau die Haltung, die der SS innegewohnt habe.

Aber auch die deutsche Justiz müsse sich die Frage gefallen lassen, wie es dazu kommen konnte. „Man hätte die Möglichkeit der Flucht mitdenken und das Pflegeheim abschirmen und die Angeklagte zum Prozess bringen müssen“, sagte Heubner. Diese Situation sei Deutschlands nicht würdig. Bei den Überlebenden löse die Flucht ungläubiges Kopfschütteln aus. Sie erhofften sich vom Prozess einen Akt später Gerechtigkeit.

Das Verfahren wird von der 3. Großen Jugendkammer verhandelt, weil die Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat 18 bis 19 Jahre alt und somit Heranwachsende im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes war. Es waren insgesamt zunächst 27 Hauptverhandlungstermine bis Juni 2022 bestimmt.