Rom, New York (epd). Die Zahl der Hungernden ist im Corona-Jahr 2020 nach Schätzungen der Vereinten Nationen weltweit auf bis zu 811 Millionen gestiegen. Der Anteil der Menschen, die nicht genug zu Essen haben, erhöhte sich somit auf knapp zehn Prozent der Weltbevölkerung, wie aus dem Welternährungsbericht hervorgeht, der am Montag in New York vorgestellt wurde. Bis zum Jahr 2030 werden demnach allein 30 Millionen Menschen als Folge der Corona-Krise hungern. Die Weltgemeinschaft hatte sich eigentlich zum Ziel gesetzt, den Hunger weltweit bis 2030 zu überwinden.
„Wenn wir nicht dringend Maßnahmen ergreifen, werden im Jahr 2030 bis zu 660 Millionen Menschen hungern“, warnte der Generaldirektor der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), Qu Dongyu, bei der virtuellen Vorstellung des Berichts. Die Corona-Pandemie habe die Anfälligkeit der Lebensmittelsysteme gezeigt.
Die Exekutivdirektorin des UN-Kinderhilfsprogramms Unicef, Henrietta Fore, betonte in diesem Zusammenhang, dass in der Pandemie rund 30 Prozent aller Haushalte weniger zu Essen gehabt hätten. 149 Millionen Kinder seien wegen Mangelernährung unterentwickelt. Angesichts mangelnder Fortschritte bei der Bekämpfung von Übergewicht bei Kindern kritisierte sie, besonders stark beworbene Lebensmittel seien häufig ungesund.
Der Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms (WFP), David Beasley, nannte die rapide gestiegene Zahl der Hungernden einen „Weckruf“ für die Weltgemeinschaft. Die Zahl der Unterernährten steige um eine Million täglich. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht entschieden dagegen vorgehe, drohe eine Destabilisierung der betroffenen Länder und eine massive Migration. „Wir tun nicht genug“, warnte der Vize-Präsident des Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (Ifad), Dominik Ziller, der im vergangenen Jahr vom vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu Ifad gewechselt war. Es gelte vor allem Kleinbauern zu fördern, die 30 Prozent der Lebensmittel produzierten.
Die Covid-19-Pandemie könne als Warnung vor künftigen Risiken gelten, denn die Faktoren, die unvorhergesehene Krisen verursachen, kehrten regelmäßig wieder, heißt es in der Studie. Die Autorinnen und Autoren fordern vor diesem Hintergrund umfassende Veränderungen bei Produktion, Handel und Konsum von Lebensmitteln.
Der Hunger stieg demnach im vergangenen Jahr am stärksten in Afrika. Dort stellen 282 Millionen unterernährte Menschen 20 Prozent der Bevölkerung, mehr als doppelt so viel wie in jeder anderen Region. Mit rund 418 Millionen leben mehr als die Hälfte der Hungernden in Asien. In Lateinamerika und in der Karibik rechnet der Bericht mit 60 Millionen Menschen, die nicht genügend zu Essen haben.
Die Corona-Pandemie habe den seit 2014 beobachteten Anstieg der Zahl der Unterernährten beschleunigt, warnen die Urheberinnen und Urheber des Berichts. Knapp ein Drittel der Weltbevölkerung hatte demnach im vergangenen Jahr keinen ausreichenden Zugang zu angemessener Ernährung. Gleichzeitig waren knapp 150 Millionen Kinder im Alter unter fünf Jahren aufgrund von Mangelernährung unterentwickelt.
Im Corona-Jahr hatten insgesamt drei Milliarden Menschen vor allem wegen hoher Kosten keinen ausreichenden Zugang zu gesunder Ernährung. Die Krise vertiefte auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Auf zehn von Ernährungsunsicherheit bedrohte Männer entfielen demnach elf Frauen.
Der Welternährungsbericht wird jährlich gemeinsam von Welternährungsprogramm (WFP), Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), Kinderhilfsprogramm (Unicef), Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Fonds für Landwirtschaftsentwicklung (Ifad) erstellt.
Die entwicklungspolitische Organisation „Aktion gegen den Hunger“ erklärte, die Zahl der Hungernden sei im vergangenen Jahr nahezu explodiert und habe mit einem Zuwachs um 161 Millionen Menschen im Vergleich zu 2019 stärker zugenommen als in den gesamten fünf Jahren davor. Es sei nun dringend nötig, die Faktoren anzugehen, die dazu geführt hätten: Klimawandel, Konflikte und Ungleichheit. Statt auf „Hightech“-Landwirtschaft zu setzen, müsse die bäuerliche Landwirtschaft, die Umwelt und Bevölkerung schütze, in den Mittelpunkt gestellt werden.