Genf, Frankfurt a.M (epd). Zum Weltflüchtlingstag am Sonntag haben Vertreter von Hilfswerken, Kirche und Politik zu mehr Unterstützung für Geflohene und einem verstärkten Vorgehen gegen Fluchtursachen aufgerufen. Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl der Menschen auf der Flucht mit fast 82,4 Millionen einen neuen Höchststand, wie die UN am Freitag in Genf mitteilten. Den Helfern zufolge führten bewaffnete Konflikte, Naturkatastrophen, der voranschreitende Klimawandel sowie die Auswirkungen der Corona-Krise dazu, dass Millionen von Menschen keinen anderen Ausweg sahen, als ihre Heimat zu verlassen.
Hinter den Zahlen stünden immer Menschen und ihr Leid, betonte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi. Die Weltgemeinschaft müsse unter anderem die vielen bewaffneten Konflikte befrieden. Im vergangenen Jahr hätten mehr Menschen als im Vorjahr ihre Heimat verlassen, obwohl viele Grenzen wegen der Corona-Einschränkungen geschlossen gewesen seien. Laut dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR waren Ende 2020 etwa 48 Millionen Menschen innerhalb ihres Landes auf der Flucht, weitere knapp 21 Millionen haben sich über die Grenze gerettet. Für das Jahresende 2019 gibt das UNHCR die Zahl der Geflohenen mit 79,5 Millionen an.
Grandi verwies darauf, dass etwa 42 Prozent aller Menschen auf der Flucht Mädchen und Jungen unter 18 Jahren seien. Zudem seien geschätzt fast eine Million Kinder zwischen 2018 und 2020 als Flüchtlinge geboren worden. Den Weltflüchtlingstag am 20. Juni führten die UN vor 20 Jahren ein.
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) forderte eine bessere Unterstützung der ärmsten Länder. „Wir dürfen in Europa nicht wegschauen von dieser dramatischen Entwicklung“, erklärte er auf seiner aktuellen Afrika-Reise. „Vor allem die ärmsten Länder leisten die Hauptlast dieser Flüchtlingskrise.“ 85 Prozent der Geflohenen fänden in Entwicklungsländern Zuflucht, wo die Ernährungslage ohnehin oft sehr kritisch sei.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, rief dazu auf, die Würde und Rechte von Flüchtlingen zu achten. „Die Würde und die Rechte von Menschen auf der Flucht sind unverhandelbar - gerade in der Europäischen Union und an ihren Grenzen“, erklärte Bedford-Strohm. „Die meisten Geflüchteten finden Aufnahme in Nachbarländern, denen selbst das Nötigste fehlt“, beklagte der bayerische Landesbischof. Durch die Corona-Pandemie habe sich die Lage von Menschen auf der Flucht noch verschärft.
Die neuen Zahlen seien ein erschütternder Weckruf für Staats- und Regierungschefs, sagte der Präsident des International Rescue Commitee, David Miliband. Sie müssten sich jetzt für globale Zusammenarbeit einsetzen. Nötig seien mehr Hilfszusagen, die Umsiedlung von Geflüchteten und die Verteilung überschüssiger Impfstoffe.
Der Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe, Martin Keßler, erklärte, in Afrika kämen in vielen Regionen mehrere Fluchtursachen zusammen. „Das Schicksal gerade dieser Millionen Flüchtlinge in Afrika darf die Weltgemeinschaft nicht vergessen. Vielmehr muss die Hilfe in diesen multiplen Krisen auf unserem Nachbarkontinent schnell und substantiell aufgestockt werden.“
Das internationale Flüchtlingsrecht dürfe nicht weiter ausgehöhlt werden, forderte das Deutsche Institut für Menschenrechte. Es sei heute wichtiger denn je, die Genfer Flüchtlingskonvention zu verteidigen. „Da die Fluchtrouten immer gefährlicher werden, bedarf es zudem einer Stärkung der Seenotrettung auf dem Mittelmeer und der Ausweitung legaler Zugangswege, um das Leben der Geflüchteten zu schützen.“ Obwohl nur ein Bruchteil der Flüchtlinge nach Europa gelange, sei die Debatte in Deutschland geprägt von einer Rhetorik der Abwehr und Abschottung.