Nach dem Ende der Corona-Pandemie darf es nach Ansicht der westfälischen Präses Annette Kurschus kein "Weiter so" geben. Die Pandemie habe in beinahe allen Lebensbereichen brüchige Lebensverhältnisse, soziale Ungleichheiten und die Begrenzung menschlicher Möglichkeiten vor Augen geführt, sagte die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen vor der digital tagenden westfälischen Landessynode. Daher müsse nun vorbehaltlos und mutig in den Blick genommen werden, "wie es anders weitergehen kann und soll und was nicht weitergehen darf wie bisher".
Der "Traum von der Rückkehr in die Weite und Fülle des Lebens" dürfe nicht verwechselt werden "mit dem dünnen Aufguss eines 'Genauso wie früher'", mahnte Kurschus, die auch stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Dieser Traum führe vielmehr in eine neue Wirklichkeit: "Auf die Spur eines Lebens, wie Gott es will." Statt wieder in den "Modus des Machens, Herstellens und Bewirkens" zu schalten, gelte es, "genau hinzusehen auf die Risse und Baustellen in unserer Kirche und unserer Gesellschaft".
Ganzheit von Leib und Seele
Kurschus wies darauf hin, dass die "Schockstarre" der Pandemie die Menschen völlig ungleich getroffen habe. Im Rückblick zeige sich, "welche Not wir im Rückblick nicht ernst genug genommen haben", räumte die 58-jährige Theologin ein. So hätte die Kirche viel früher ihre Stimme für Menschen in sozialen Brennpunkten erheben müssen: "Ohnehin von Armut und Ausgrenzung stigmatisiert, wurden sie durch ihr Zusammenleben auf engstem Raum in weitaus größerer Zahl Opfer der Pandemie als Menschen in saturierten Lebensverhältnissen." Auch die Corona-Toten und die negativen Folgen der Pandemie in vielen Bereichen ließen den Traum verstummen, "es möge doch wieder werden wie früher", sagte Kurschus. "Das wird es nicht."
Auch die Gottesdienstkultur werde nach der Pandemie nicht mehr dieselbe sein, erklärte die EKD-Ratsvize: "Auf die neu endeckten digitalen Formate werden wir künftig nicht mehr verzichten." In Ergänzung zum digitalen Wandel müssten aber "im Interesse menschlicher Ganzheit, die aus Leib und Seele besteht" die "Dimensionen der leiblichen Unmittelbarkeit" gestärkt werden.
Die Theologin rief auch zum Einsatz für das Gemeinwohl auf. Energischer denn je müsse für Respekt und Anstand gegenüber Menschen eingetreten werden, die sich beruflich oder ehrenamtlich für die Gesellschaft engagieren - sei es in der Pflege oder Rettungsdiensten, Verbänden und Vereinen, Religionsgemeinschaften oder der Politik. "Wir werden sie verteidigen gegen plumpe Pöbeleien und Hass im Netz und auf der Straße" sowie gegen jede Form von Antisemitismus, kündigte Kurschus an.