Osnabrück (epd). Die Universität Osnabrück erstellt in den kommenden drei Jahren eine historisch-juristische Studie zu sexualisierter Gewalt an Minderjährigen sowie schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen im katholischen Bistum Osnabrück. Das Bistum gebe damit das Heft des Handelns bis zur Veröffentlichung aus der Hand, sagte Generalvikar Ulrich Beckwermert am Dienstag. Das gelte ausdrücklich auch für Bischof Franz-Josef Bode. Dieser habe den Vertrag am 26. April unterzeichnet und wolle damit „die absolute Unabhängigkeit von seiner Person“ gewährleisten, betonte Beckwermert. Erste Ergebnisse eines Teilprojekts sollen bereits nach einem Jahr vorgelegt werden.
Die Wissenschaftler unter der Leitung der Historikerin Siegrid Westphal und des Juristen Hans Schulte-Nölke wollen für dieses Teilprojekt zunächst den Umgang der Bistumsleitung mit den bereits bekannten rund 50 Verdachtsfällen untersuchen. Es müsse geklärt werden, ob die Verantwortlichen gegen staatliches und kirchliches Recht verstoßen hätten und ob Betroffene Schutz- und Rechtlosigkeit erfahren hätten, betonte Schulte-Nölke: „Die Namen von Hauptverantwortlichen werden wir nennen, wenn ihnen Pflichtverletzungen zur Last fallen.“ Die Genannten hätten das Recht zur Stellungnahme. Sollte es zu Konflikten mit dem Persönlichkeitsrecht kommen, würden diese unter rein juristischen Geschichtspunkten geprüft.
Auch Uni-Präsidentin Susanne Menzel-Riedl betonte, das Bistum habe an keiner Stelle einen Prüfungs- und Rechtsvorbehalt. „Über die Wissenschaftsfreiheit haben wir eine maximale Freiheit bei der Veröffentlichung.“ Über den Zeitpunkt sowie die Art und Weise entscheide allein die Universität. Das Bistum finanziert die Studie mit 1,3 Millionen Euro.
Ziel der gesamten Untersuchung, die bis ins Jahr 1945 zurückreichen werde, sei es darüber hinaus, die verschiedenen Wahrnehmungen von sexualisierter Gewalt vor dem jeweiligen zeitgenössischen Hintergrund zu untersuchen, sagte Westphal. Außerdem sollen typische Muster sexualisierter Gewalt, aber auch kirchliche Strukturen, die sexualisierte Gewalt und deren Vertuschung begünstigen, aufgedeckt, benannt und bewertet werden.
Es sei gefährlich, wenn rechtliche Normen und Kontrolle fehlten und Entscheidungen nach einem „grundsätzlich absolutistischen Selbstverständnis getroffen werden“, betonte Schulte-Nölke. Die Wissenschaftler wollen eng mit Betroffenen zusammenarbeiten. Alle Ergebnisse sollen auch der gemeinsamen Aufarbeitungskommission zur Verfügung gestellt werden, die die Bistümer Hamburg, Hildesheim und Osnabrück einrichten wollen.
Das Bistum hat nach eigenen Angaben derzeit (Stand 4. Mai) Kenntnis von 53 Beschuldigten und rund 120 Betroffenen. Unter den Beschuldigten seien 48 Priester, ein Diakon und vier Laien. In der im Herbst 2018 veröffentlichten sogenannten MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz war für das Bistum Osnabrück noch von 35 beschuldigten Geistlichen und 68 Betroffenen die Rede.