Hannover (epd). Hassrede, Fake-News, Pflegeroboter, Dating-Apps und Cybersex: Für diese Phänomene der digitalen Lebenswelt gibt nun ein neuer Grundlagentext der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine ethische Orientierung. Der Text gebe Antworten auf die Frage, wie freiheitliches und verantwortungsvolles Handeln in der digitalen Gesellschaft aussehen könne, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm am Donnerstag bei der Vorstellung der Denkschrift "Freiheit digital. Die Zehn Gebote in Zeiten des digitalen Wandels" während einer Online-Pressekonferenz.
"Weil sich die Technologien in den vergangenen zehn Jahren so rasant weiterentwickelt haben, hinken die gesellschaftlichen Normen für ihre Nutzung zwangsläufig hinterher", sagte Bedford-Strohm. Umso dringlicher sei es, die ethischen Folgen der Digitalisierung stärker in den Blick zu nehmen. Er sehe es als Aufgabe der Kirchen und Religionsgemeinschaften, ethische Orientierungen für gesellschaftliche Fragestellungen zu geben. Keiner anderen Institution sei die ethische Reflexion in die DNA geschrieben.
Aufgebaut ist der Text anhand der biblischen Zehn Gebote, aus denen die Autorinnen und Autoren zehn Leitsätze ableiten. Verfasst wurde die Denkschrift, die einzige der noch bis November andauernden sechsjährigen Ratsperiode, von der Kammer für soziale Ordnung, herausgegeben wurde sie vom Rat der EKD. Der Rat verbinde damit die Hoffnung, dass der 250-Seiten-umfassende Text Anschluss an öffentliche, wissenschaftliche und innerkirchliche Diskurse finde, sagte der Ratsvorsitzende.
Bedford-Strohm verwies auf die Aktualität der Zehn Gebote. So erinnere das neunte Gebot "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten" an die Debatte über Fake-News und Hassrede im Netz. Er warnte davor, dass sich die Kommunikation im Internet zunehmend nicht mehr an der Wahrheit, sondern am Kommerz orientierte. Algorithmen bevorzugten jene Beiträge auf sozialen Plattformen, die besonders häufig angesehen oder geteilt würden. Damit lasse sich dann auch besonders viel Geld über Werbung generieren. Auch das Gebot zum Ehebruch verdeutliche ein modernes Problem, Beziehungen verbindlich und verlässlich zu gestalten. Über allem stehe aber das erste Gebot ("Du sollst keine anderen Götter haben neben mir"), das menschlichen Allmachtsfantasien in Bezug auf die Möglichkeiten des technologischen Fortschritts entgegenwirke.
Der evangelische Theologe und stellvertretende Vorsitzende der Kammer für soziale Ordnung, Traugott Jähnichen, betonte, dass mit der Denkschrift weder "eine überschäumende Technik-Begeisterung noch eine Technik-Kritik" transportiert werde. Er erinnerte an die Freiheiten, die die Digitalisierung in der Arbeitswelt schaffe, die gleichzeitig aber auch zu einer Ausbeutung von Arbeitnehmern führen könne. Das erlebten derzeit viele Menschen täglich in der Corona-Pandemie. Auch schier unendliche Konsummöglichkeiten würden im Internet angeboten, deren Maß es zu bedenken gelte.
Die EKD will aber nicht nur über die Digitalisierung reflektieren, sondern sie versteht sich auch selbst als Akteurin. So fördert sie etwa durch einen Innovationsfonds Ideen, die die kirchliche Arbeit im Digitalen ermöglichen. Zuletzt sei der Auftrag erteilt worden, ein Haus für digitale Seelsorge und Beratung zu "bauen", sagte Pfarrerin Stefanie Hoffmann aus der EKD-Stabsstelle Digitalisierung. Das Projekt solle im Netz auch Angebote für Menschen schaffen, die sich nicht einer Kirchengemeinde zugehörig fühlten.