Bandelow: Debatten um Corona-Impfungen sind angstgetrieben

Bandelow: Debatten um Corona-Impfungen sind angstgetrieben
31.03.2021
epd
epd-Gespräch: Daniel Behrendt (epd)

Göttingen (epd). Mit Blick auf das sinkende Vertrauen der Bevölkerung in das Corona-Management von Bund und Ländern hat der Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow vor unrealistischen Erwartungen in die politisch Verantwortlichen gewarnt. "Es scheint, als würden sie überhöht wahrgenommen und für alles verantwortlich gemacht, was nicht optimal läuft", sagte der Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Als Beispiele nannte Bandelow den wachsenden Unmut über die nur schleppend voranschreitende Impfkampagne, die rege Diskussion um Nebenwirkungen des Corona-Vakzins von Astrazeneca sowie die Debatte um die Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit von Schnelltests. Es sei zu beobachten, dass der Diskurs bei vielen coronabezogenen Themen zunehmend um Versäumnisse und Risiken kreise. "Dabei müssten wir doch eigentlich anerkennen, dass wir ein Jahr nach Beginn der Pandemie trotz aller Unzulänglichkeiten im Krisenmanagement deutlich mehr Anlass zur Hoffnung als zur Resignation haben", betonte Bandelow.

Eine wesentliche Ursache für die öffentlichen Negativdebatten sei eine Art Angstzustand, in dem die Menschen seit Beginn der Krise gefangen seien. "Vereinfacht ausgedrückt: Unser Angstgehirn hat die Kontrolle übernommen", sagte der Psychiater. Im Gegensatz zum "Vernunftgehirn", das faktenbasiert und abwägend arbeite, reagiere das "Angstgehirn" in einer Art Panik-Modus und laufe Gefahr, Fehlschlüssen aufzusitzen. "In diesem Zustand hamstern wir wider besseren Wissens Klopapier oder schätzen die potenziellen Nebenwirkungen einer Corona-Impfung drastisch höher ein als ihren nachweislichen Nutzen", erläuterte Bandelow.

Dass derzeit unangemessen große Angst vor Impfkomplikationen bestehe, liege auch daran, dass das Coronavirus selbst an Schrecken eingebüßt habe: "Unser Angstgehirn reiht es sozusagen ein in die lange Liste der bekannten Gefahren. Die Impfkomplikationen sind ein weit weniger vertrautes, weniger berechenbar erscheinendes Phänomen, folglich stürzt es sich darauf und bewertet es unverhältnismäßig hoch".

Bandelow bezeichnete die kommenden Monate als kritisch. Selbst wenn die Impfungen griffen, werde es noch mindestens zwei Monate dauern, bis die Infektionskurve und die Todeszahlen nachhaltig zurückgingen. Um nicht in Resignation zu verfallen oder im eigenen Bemühen zum Corona-Schutz nachzulassen, sei es umso wichtiger, sich bewusstzumachen, dass ein Ende der Pandemie zwar in Sicht, aber nur mit Geduld zu erreichen sei.