Erstes Kölner Missbrauchsgutachten listet schwere Versäumnisse auf

Erstes Kölner Missbrauchsgutachten listet schwere Versäumnisse auf
Das Kölner Erzbistum hat erstmals unter strengen Auflagen Einblick in das unter Verschluss gehaltene Missbrauchsgutachten gewährt. Die Gutachter fällen ein hartes Urteil über aktive und frühere Mitglieder der Bistumsleitung.

Köln (epd). Nach monatelanger Kritik hat der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki erstmals Einblick in das seit einem Jahr unter Verschluss gehaltene Missbrauchsgutachten gewährt. Das vom Erzbischof in Auftrag gegebene Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl (WSW) durfte am Donnerstag nur unter strengen Auflagen im Kölner Tagungshaus des Erzbistums eingesehen werden. Es wirft Mitgliedern der Bistumsleitung schwere Versäumnisse beim Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt durch Kleriker vor. Das Gutachten deckt sich zum Teil mit dem vor einer Woche von Woelki veröffentlichten Missbrauchsgutachten einer Kölner Kanzlei, nimmt aber stärkere moralische Bewertungen vor.

Kardinal Woelki wird in dem Münchner Gutachten nicht belastet. Die Anwälte attestieren aber mehreren Mitgliedern der Bistumsleitung in der Zeit von 1975 bis 2018 einen Mangel an Verantwortlichkeit und Selbstreflexion. Insgesamt sechs Verantwortlichen werfen sie Pflichtverletzungen vor. Pflichtverstöße sehen die Münchner Gutachter bei Weihbischof Dominikus Schwaderlapp, Offizial Günter Assenmacher, dem früheren Generalvikar Norbert Feldhoff sowie dem Hamburger Erzbischof und früheren Kölner Generalvikar Stefan Heße. Schwer belastet werden vor allem die beiden verstorbenen Erzbischöfe Joseph Höffner und Joachim Meisner.

Damit kommen die Münchner Anwälte zu einem ähnlichen Ergebnis wie das vor einer Woche vom Erzbistum veröffentlichte zweite Missbrauchsgutachten der Kölner Kanzlei Gercke & Wollschläger. Dieses hatte darüber hinaus auch noch Weihbischof Ansgar Puff sowie einer Justiziarin Pflichtverstöße vorgeworfen. Woelki stellte als Konsequenz Schwaderlapp, Assenmacher und Puff von ihren Ämtern frei. Heße bot dem Papst seinen Rücktritt an.

Woelki hatte das WSW-Gutachten ein Jahr lang zurückgehalten und dies mit rechtlichen und methodischen Mängeln sowie äußerungsrechtlichen Bedenken begründet, die von Zweitgutachtern erhoben worden waren. Die Münchner Kanzlei hatte die Kritik an ihrer Arbeit stets zurückgewiesen.

Die Münchner Anwälte kritisieren anhand von 15 Fallbeispielen den Umgang der Verantwortlichen mit Missbrauchsfällen. Insgesamt stießen sie in den Akten auf 233 Beschuldigte und 274 Opfer. Vielfach sei das Handeln der Verantwortlichen von der mitbrüderlichen Sorge um die Täter und dem Desinteresse an den Opfern geprägt gewesen, stellen die Anwälte fest.

Vor allem Woelkis verstorbenen Vorgängern Höffner und Meisner weisen die Gutachter schwere Pflichtverstöße nach. Sie hätten die Vorgaben der Glaubenskongregation, Missbrauchsfälle nach Rom zu melden, weitgehend ignoriert. Die beiden früheren Kardinäle seien somit kein Vorbild für andere Bistumsmitarbeiter gewesen.

Die WSW-Anwälte machen neben Mängeln in der Aktenführung und Verwaltung vor allem Fehler im System Kirche als Ursache für die Versäumnisse aus. Vor allem Klerikalismus habe dazu geführt, dass der Schutz der Täter häufig über die Sorge um die Opfer gestellt worden sei. Innerhalb des Klerus habe es eine "Wagenburgmentalität" gegeben. In ihren Empfehlungen raten die Gutachter daher zu einer kritischen Überprüfung des "priesterlichen Selbstbildnisses".

Zudem fordern sie eine Auseinandersetzung aller mit Missbrauchsfällen befassten Bistumsmitarbeiter mit den Opfern. Es sei unverzichtbar, dass diese mit den Betroffenen in Kontakt träten und sich deren Leid aussetzten. Die Anwälte raten außerdem dazu, eine Beschränkung der Amtsdauer in Führungspositionen in der Bistumsverwaltung zu erwägen, die Priesterausbildung zu reformieren und die Rolle von Frauen in Leitungspositionen zu stärken. Auch die Aktenführung müsse professionalisiert und manipulationssicher gemacht werden.