"Brüder im Nebel"

"Brüder im Nebel"
Juristisches Gutachten belastet Kölner Bischöfe
Das Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln entlastet Kardinal Woelki. Die Gutachter fanden schwere Versäumnisse anderer Mitglieder der Bistumsleitung. Woelki suspendierte vorläufig Weihbischof Schwaderlapp.
18.03.2021
epd
Von Franziska Hein (epd)

Köln (epd). "Brüder im Nebel" - so hieß der Aktenordner, den der frühere Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner für geheimhaltungsbedürftige Unterlagen angelegt hatte. Der Nebel ist seit Donnerstag etwas gelichtet. Denn der Kölner Strafrechtsanwalt Björn Gercke hat in seinem juristischen Gutachten die Namen der Verantwortlichen benannt, die jahrelang im Erzbistum Köln Missbrauchsfälle vertuscht und Täter geschützt haben. Zwar hätten er und seine Kollegen, darunter die Juristin Kerstin Stirner, keine "systematische Vertuschung" durch Verantwortungsträger des Erzbistums feststellen können.

Doch habe es jahrelang eine systembedingte Vertuschung gegeben. Sie kennzeichnete sich nach den Worten der Gutachter durch eine massive Rechtsunkenntnis, unklare Zuständigkeiten, die mangelhafte Aktenführung und Dokumentation sowie Überforderung. Stirner, die das Gutachten zusammen mit Gercke vorstellte, sprach von Chaos und Missverständnissen.

Die Liste der namentlich genannten Verantwortlichen ist lang: Pflichtverstöße fanden die Gutachter bei den ehemaligen Kölner Erzbischöfen Kardinal Joseph Höffner und Kardinal Joachim Meisner sowie bei Weihbischof Dominikus Schwaderlapp in seiner Zeit als Generalvikar und dem heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße ebenfalls aus seiner Zeit als Generalvikar und Leiter der Hauptabteilung Seelsorge/Personal. Woelki hat nach den Erkenntnissen der Gutachter nicht gegen seine Pflichten verstoßen.

Der Erzbischof suspendierte Weihbischof Schwaderlapp und den Kölner Offizial Günter Assenmacher, der ebenfalls durch das Gutachten belastet wird. Das Gutachten wurde zudem bereits am Montag der Kölner Staatsanwaltschaft übergeben, wie Gercke mitteilte.

Untersucht hatten die Juristen den Umgang der Bistumsleitung mit Missbrauchsfällen zwischen den Jahren 1975 und 2018. Insgesamt 236 Aktenvorgänge sichteten sie, in 24 Vorgängen fanden sie Pflichtverletzungen. Insgesamt 75 Pflichtverstöße zählten sie, die auf acht Personen zurückzuführen sind. Sie reichen von Verstößen gegen die Aufklärungspflicht bis hin zu Versäumnissen bei der Opferfürsorge. Woelkis Amtsvorgänger Meisner werden 24 Pflichtverstöße und damit ein Drittel aller Fälle angelastet.

Auch zu den Missbrauchsfällen macht das über 800-seitige Gutachten Angaben, obwohl diese nicht Kern der Untersuchung waren. Demnach finden sich in den Akten Hinweise auf 202 Beschuldigte und 314 Betroffene von sexuellem Missbrauch. Die Täter waren überwiegend Kleriker, die Opfer mehrheitlich Jungen unter 14 Jahren. Die meisten Fälle kamen erst nach dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals am Berliner Canisiuskolleg im Jahr 2010 ans Licht.

"Dank der Arbeit der Anwälte haben wir einen Blick in den Abgrund von Gewalt und Missbrauch im Erzbistum Köln werfen können", sagte Matthias Katsch von der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" dem epd. Kardinal Woelki sei Teil dieses Systems gewesen, das mindestens seit der Amtsübernahme durch Kardinal Joachim Meisner dort gewachsen sei. Es stelle sich die Frage der moralischen Verantwortung, die nicht geklärt und beantwortet worden sei.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, nannte das Ausmaß des Missbrauchs und der Pflichtverletzungen kirchlicher Verantwortungsträger im Erzbistum Köln erschreckend. Er mahnte eine unabhängige Aufarbeitung an, die auch das Leid der Betroffenen betrachte und kläre, warum Kirchenleute "so rigoros und herzlos mit kindlichen Opfern" umgegangen seien.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte, die bisherigen Schritte könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Aufarbeitung in Köln und andernorts immer noch am Anfang stehe. Kindesmissbrauch sei "keine interne Kirchen-Angelegenheit, sondern ein Verbrechen, das von Strafgerichten aufgeklärt werden muss", betonte die Justizministerin.

epd lwd/hei fu