Missbrauch: Gutachten bescheinigt Erzbistum Berlin Versäumnisse

Missbrauch: Gutachten bescheinigt Erzbistum Berlin Versäumnisse
Die Aufklärung von sexuellen Missbrauchsfällen durch Priester kommt auch im Erzbistum Berlin nur schleppend voran. Ein externes Gutachten listet 61 Beschuldigte seit 1946 auf. Die Dunkelziffer sei aber vermutlich viel höher.

Berlin (epd). Ein am Freitag vorgestelltes Gutachten bescheinigt dem Erzbistum Berlin schwere Versäumnisse bei der Verfolgung und Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs. Die ganze Organisationsstruktur des Erzbischöflichen Ordinariats bedürfe einer gründlichen Überprüfung durch externe Berater, sagte der Berliner Rechtsanwalt Peter-Andreas Brand von der Kanzlei Redeker Sellner Dahs als einer der Verfasser. Das 669 Seiten umfassende Gutachten war vom Erzbistum selbst in Auftrag gegeben worden. Heftige Kritik daran kam von der Betroffenenorganisation Eckiger Tisch.

Der über 400 Seiten umfassende Teil C des Gutachtens mit konkreten Missbrauchsfällen bleibt zunächst unter Verschluss. Er enthält die Personalakten der beschuldigten Kleriker. Die Daten ließen Rückschlüsse auf die Identitäten zu, sagte Generalvikar Pater Manfred Kollig. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes habe man sich gegen Veröffentlichung entschieden. Der Teil soll nun einer "Gutachten-Kommission" bei der Fortführung der Aufklärungsbemühungen dienen.

Laut Gutachter Brand sind die hierarchischen Strukturen des Ordinariats der Hemmschuh für eine tiefgreifende Aufklärung von Straftaten sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Priester und andere kirchliche Mitarbeiter. Es gebe zahlreiche Unklarheiten über Verantwortlichkeiten und keine klare Kompetenzverteilung. Dies führe zu einer "systematischen Verantwortungslosigkeit".

Den Akten sei zu entnehmen, dass sich erst ab 2002 und 2010 auch im Berliner Erzbistum ein Problembewusstsein für die Vergehen entwickelt habe. "Seitdem gibt es eine Hinwendung zu den Betroffen", sagte der Rechtsanwalt. Zuvor sei in der Regel mit "viel Empathie" für die Beschuldigten agiert worden, es sollte Schaden von der Institution Kirche abgewendet werden. 2010 waren Missbrauchsfälle am Berliner Canisius Kolleg bekanntgeworden und hatten bundesweit weitere Enthüllungen ausgelöst. Allein beim Berliner Erzbistum haben sich seitdem 33 Betroffene gemeldet.

Laut Co-Gutachterin Sabine Wildfeuer wurden zwischen 1946 und 2019 insgesamt 61 Beschuldigte identifiziert. Davon betroffen waren 121 Menschen, zumeist Kinder und Jugendliche, zu zwei Dritteln Jungen. Bei weiteren 17 Personen gebe es deutliche Hinweise auf eine Betroffenheit. Die meisten Vergehen fanden in den 50er und 60er Jahren statt. 37 Beschuldigte seien bereits verstorben, 18 befänden sich im Ruhestand. In 49 Fällen handele es sich um sexuellen Missbrauch von Minderjährigen, in fünf Fällen um eine sogenannte Grenzüberschreitung, in einem Fall um Kinderpornografie. Drei Fälle könnten nicht eindeutig zugeordnet werden. In sieben Fällen gab es ein kirchenrechtliches Verfahren gegen die Beschuldigten, in elf Fällen gerichtliche Strafverfahren. Die Rechtsanwältin betonte: "Wir gehen von einer erheblichen Dunkelziffer aus." Er sehe sich verantwortlich für eine nachhaltige Aufarbeitung, sagte Erzbischof Heiner Koch.

Die Organisation "Eckiger Tisch" kritisierte, dass der Bericht elf Jahre nach dem Missbrauchsskandal am Berliner Canisius-Kolleg veröffentlicht werde, "ohne Verantwortliche zu identifizieren, ohne Täter zu benennen und ohne mit Opfern zu sprechen". Dies führe das Bemühen um Aufklärung und Aufarbeitung ad absurdum.