Frankfurt a.M. (epd). In der Debatte über mögliche Suizidassistenz in kirchlichen Einrichtungen hat die evangelische Theologieprofessorin Isolde Karle vor einer Stigmatisierung der Menschen mit Sterbewunsch gewarnt. "Es gibt Grenzfälle, in denen im Bewusstsein um den Vorrang des Lebens ein Ja zu einer willentlichen Beendigung des Lebens gesprochen werden kann", schrieb Karle im Fachdienst epd sozial (29. Januar). Zugleich rief sie dazu auf, die aktuelle Diskussion zu versachlichen.
"Es geht uns nicht darum, dass die Kirche zum Akteur der Suizidhilfe wird, sondern darum, dass diakonische Einrichtungen nicht darum herumkommen werden, sich zu überlegen, wie sie damit umgehen, dass auch von ihnen betreute Menschen eine Suizidassistenz in Anspruch nehmen wollen und werden", schrieb die Bochumer Theologin, die die aktuelle innerkirchliche Debatte mit einem gemeinsamen Gastbeitrag unter anderem mit Diakonie-Präsident Ulrich Lilie in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" angestoßen hatte.
Evangelische Kirche und Diakonie dürften sich der Diskussion nicht verweigern, betonte Karle. Denn dies würde bedeuten, die neue Rechtsentwicklung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor einem Jahr außer Acht zu lassen. Zudem müssten dann Sterbewillige, die sich einen Suizid wünschten, aus einer diakonischen Einrichtung entlassen werden. Das heiße, sie in einer "äußerst schwierigen Lage alleine zu lassen. Beides scheint uns nicht angemessen zu sein." Das Karlsruher Gericht hatte im Februar 2020 das Verbot organisierter Suizidassistenz etwa durch Sterbehilfeorganisationen gekippt.
Der Vorstandsvorsitzende des evangelischen Sozialunternehmens Diakoneo, Mathias Hartmann, lehnt "ein Regelangebot für assistierten Suizid" in kirchlichen Einrichtungen ab. Gesellschaftlichem oder individuellem Druck auf Menschen, damit diese ihrem Leben ein Ende setzen, müsse Diakonie entschieden entgegentreten, forderte er laut Mitteilung des Unternehmens: "Kirche und Diakonie haben an dieser Stelle eine Wächterfunktion." Diakoneo gehört zu den fünf größten diakonischen Unternehmen in Deutschland und hat seinen Sitz im fränkischen Neuendettelsau.
Die Diakonie habe auch wegen ihres eigenen Handelns in der NS-Zeit die Verpflichtung, "in diesen Fragen besonders sensibel vorzugehen", betonte Hartmann. Niemand dürfe das Leben eines anderen Menschen als nicht lebenswert beurteilen. Die Diakonie habe sich derartigen Bestrebungen "schon einmal nur unzureichend widersetzt", sagte er. Gleichwohl dürften auch all jene Menschen, die ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen wollen, nicht alleine gelassen werden.
In Berlin stellte unterdessen am Freitag eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten mehrerer Fraktionen einen Gesetzesvorschlag vor. Demnach sollen Ärzte tödlich wirkende Mittel auch für den Suizid verschreiben dürfen. Gleichzeitig soll eine Beratung sicherstellen, dass der Sterbewunsch aus freiem Willen entstanden ist.
Der SPD-Politiker Karl Lauterbach, Mitinitiator des Entwurfs, sagte, auch die Kirchen müssten überlegen, ob sie solch eine Beratung anböten. Er begrüßte die in der evangelischen Kirche angestoßene Debatte. Auch die Kirchen müssten mit dem Verfassungsgerichtsurteil umgehen und sich fragen, was eine humane, christliche Reaktion darauf sein könne. "Das kann auf jeden Fall nicht sein, dass man wegschaut", sagte er.
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