Frankfurt a.M. (epd). Im Prozess um den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main am Donnerstag den Angeklagten Stephan Ernst (47) wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der zweite Angeklagte Markus H. (44) wurde wegen des illegalen Besitzes einer vollautomatischen Schusswaffe zu einem Jahr und sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Das Gericht legte die Bewährungszeit auf drei Jahre fest. H. bleibt auf freiem Fuß.
Die Schuld von Ernst wiege besonders schwer, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel. Deshalb sei die Sicherungsverwahrung nach Verbüßung der Freiheitsstrafe möglich, die Entscheidung darüber bleibe einer zweiten Gerichtsverhandlung zu Ende der Haftzeit vorbehalten. Vom zweiten Vorwurf des versuchten Mordes an dem Asylbewerber Ahmed I. sprach das Gericht Ernst frei. Es gebe zwar einige Umstände, die darauf hindeuteten, dass Ernst der Täter gewesen sei, aber keine tragfähigen Beweise, begründete Sagebiel.
Außerdem sprach das Gericht Markus H. vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord frei. Das Gericht entscheide "in dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten), sagte Sagebiel: "Wenn noch Zweifel bestehen, hat das Gericht zugunsten des Angeklagten zu entscheiden." Eine Verurteilung erfordere "eine zweifelsfreie Überzeugung des Gerichts". Oberstaatsanwalt Dieter Killmer hat mittlerweile angekündigt, gegen die beiden Freisprüche Revision einlegen zu wollen.
Zur Kritik, dass das Gericht sich nicht mit möglichen rechtsradikalen Netzwerken beschäftigt habe, entgegnete Sagebiel, das Bestehen solcher Netzwerke "war nicht Gegenstand des Verfahrens". Wichtig für das Verfahren wären solche Netzwerke dann gewesen, wenn es einen Einfluss auf die Angeklagten gegeben hätte. Dies sei aber nicht ersichtlich gewesen.
Walter Lübcke wurde am 1. Juni 2019 um 23.20 Uhr auf der Terrasse seines Hauses in Wolfhagen-Istha erschossen. Ahmed I. wurde am 6. Januar 2016 in Lohfelden von einem Fahrradfahrer ein Messer in den Rücken gerammt. Für den Tathergang in beiden Fällen gibt es keine Zeugen. Das Gericht musste sein Urteil anhand der Aussagen der Angeklagten, von Zeugen aus deren Bekanntenkreis, Ermittlern und Gutachtern sowie von Indizien bilden.
Die Richter folgten bei der Bewertung dem ersten Geständnis von Stephan Ernst, das dieser am 25. Juni 2019, zehn Tage noch seiner Festnahme, der Polizei zu Protokoll gab. Darin schilderte er, wie er in der Dunkelheit allein auf die Terrasse Lübckes schlich und den Regierungspräsidenten in den Kopf schoss. Ernst habe ruhig und überlegt gehandelt und sei fähig gewesen, das Unrecht seiner Handlung zu erkennen, sagte Sagebiel. In der Verhandlung jedoch habe Ernst sich widersprüchlich geäußert und seine Aussagen situativ an den Prozess angepasst, ergänzte Richter Christoph Koller. Das Gericht habe größte Zweifel an seinen Aussagen über den zweiten Angeklagten H.
Das Strafmaß begründete Richter Koller damit, dass Ernst Lübcke "heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen" getötet habe, und auf Mord stehe die lebenslange Freiheitsstrafe. Eine Tötung aus politischen Gründen sei grundsätzlich verachtenswert, es bestehe eine besondere Schwere der Schuld. Ernst zeige einen Hang zu erheblichen Straftaten und sei für die Allgemeinheit gefährlich, daher spreche das Gericht den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung nach Beendigung der Freiheitsstrafe aus.
Das Gericht folgte bezüglich des Angeklagten Markus H. nicht dem Vorwurf der Anklage, er habe Beihilfe zum Mord geleistet. Beleg dafür seien allein die Aussagen von Ernst, auf die das Gericht sich nicht sicher stützen könne, begründete Koller. Das Gericht habe nicht feststellen können, ob H. von dem Tötungsvorhaben Ernsts wusste und inwieweit er ihn darin bestärkt habe, ergänzte Sagebiel. Als Vorwurf bleibe der unerlaubte Waffenbesitz einer Maschinenpistole, die nur unzureichend unbrauchbar gemacht worden war.
Die Strafverteidiger von Stephan Ernst hatten auf Totschlag im Fall Lübcke und auf Freispruch vom Vorwurf des versuchten Mordes an Ahmed I. plädiert. Die Verteidigung von Markus H. hatte auf Freispruch ihres Mandanten plädiert. An die Nebenkläger, die Hinterbliebenen der Familie Lübcke und den Flüchtling Ahmed I., richtete Sagebiel tröstende Worte.