Regionalbischöfin Bahr: Neue Formen des Trauerns in der Pandemie

Florian Boillot/Süddeutsche Zeitung Photo
Am Arnswalder Platz in Berlin-Prenzlauer Berg haben Menschen Grablichter zum Gedenken an die Corona-Toten aufgestellt.
Regionalbischöfin Bahr: Neue Formen des Trauerns in der Pandemie
Das Sterben in der Pandemie erfordert nach Ansicht der evangelischen Regionalbischöfin und Ethik-Expertin Petra Bahr neue Formen des Trauerns. Als öffentliche Orte könnten etwa Gedenktafeln für Corona-Verstorbene dienen.

Um trauern zu können seien auch öffentliche Orte notwendig, was aber wegen der Corona-Beschränkungen aktuell oft nicht möglich sei, sagte Petra Bahr im Deutschlandfunk: "Wir lernen gerade ganz mühsam, dass man sich möglicherweise auch digital von Menschen verabschieden kann oder muss."

Die Corona-Todesfälle gingen vielen Menschen besonders nahe, "weil die, die davon verschont sind, ahnen, dass es ein ganz furchtbares Sterben ist", sagte die Regionalbischöfin aus Hannover. "Wer an Covid-19 stirbt, stirbt einsam und oft in gruseliger Umgebung." Anders als bei Terroranschlägen oder Zugunglücken finde das Sterben nicht in der Öffentlichkeit statt, sondern in geschlossenen Räumen auf Intensivstationen und in Pflegeheimen.

Sterben wird auf Zahlen reduziert

Für die individuelle Trauer seien die christlichen Rituale wichtig, betonte Bahr. Kirchen seien Orte, an denen Hinterbliebene stumm sein dürften in ihrer Trauer, an denen sie sich aber auch trauen dürften, "im öffentlichen Raum zu weinen". Zugleich seien aber auch Orte des kollektiven Erinnerns wichtig. "Dass wir uns dieser Trauer auch kollektiv stellen müssen, das scheint mir sonnenklar zu sein", sagte die Theologin, die auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist.

In der Öffentlichkeit werde das Sterben in der Pandemie häufig auf die reinen Fallzahlen reduziert. "Das ist zu abstrakt, um es als individuelles Sterben zu begreifen", sagte Bahr. "Wir gewöhnen uns auch an die hohen Sterbezahlen, bis sie plötzlich auch in unserer Nachbarschaft passieren." Als öffentliche Orte der Trauer halte sie etwa lokale Gedenktafeln für die Corona-Toten der einzelnen Städte und Gemeinden für denkbar - "damit aus diesen Zahlen wenigstens Eigennamen werden".

Die Pandemie mit ihrer "Allgegenwärtigkeit des Todes" berge aber auch die Chance auf einen neuen Umgang mit dem Leben. "Die Einsicht in die permanente Bedrohung kann das Leben auch kostbarer machen", sagte die Regionalbischöfin. "So wie wir mit dem Tod umgehen, so gehen wir auch mit dem Leben um, das ist eine ganz alte Weisheit."

Bislang starben in Deutschland nach Angaben der Robert Koch-Instituts (RKI) insgesamt 22.475 Menschen an oder mit dem Coronavirus. Zuletzt meldeten die Gesundheitsämter 500 Tote binnen eines Tages, wie das RKI am 15. Dezember mitteilte.