Köln (epd). Der vom Erzbistum Köln beauftragte neue Gutachter für die Untersuchung zu sexuellem Missbrauch hat eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse angekündigt. Es werde um "systemische Defizite des Erzbistums und um persönliche Verantwortlichkeiten" gehen, sagte der Kölner Rechtsanwalt Björn Gercke am Montag auf einer Online-Pressekonferenz des Erzbistums. Das Gutachten werde für das Erzbistum "ungemütlich" werden. Die Neufassung des Gutachtens soll bis zum 18. März 2021 veröffentlicht werden.
Ziel der neuen Untersuchung sei es, das Vorgehen der Verantwortlichen des Erzbistums in den Blick zu nehmen, sagte Gercke weiter. "Es wird unsere Aufgabe sein, Rechtsverstöße zu identifizieren und die dafür verantwortlichen Personen möglichst konkret zu benennen." Es gehe darum, wer was wann gewusst habe und wer etwas hätte tun müssen. Man gehe mit dem Anspruch an die Arbeit heran, dass das fertige Gutachten "gerichtsfest" sei.
Das Erzbistum hatte am Freitag mitgeteilt, dass Gerckes Kanzlei die bislang mit der Untersuchung beauftragte Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl ablösen wird. Das Erzbistum sah sich nach eigenen Angaben zu der Trennung gezwungen, weil die im Dezember 2018 beauftragte Kanzlei die Anforderungen an eine unabhängige Untersuchung nicht erfüllt habe. Die Kanzlei sei wiederholt an ihrem Versprechen und am Anspruch der Betroffenen sowie des Erzbistums gescheitert, eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse und persönlichen Verantwortlichkeiten in Form eines rechtssicheren und belastbaren Gutachtens zu erreichen und einen zur Veröffentlichung geeigneten Bericht zu erstellen. Grundlage der Trennung sei die wissenschaftliche Einschätzung von Juristen, die dem Gutachten methodische Mängel attestierten.
Das zuvor beauftragte Gutachten sei "keine taugliche Grundlage" dafür, die persönlichen Verantwortlichkeiten von Kirchenträgern zu benennen, erklärte der Rechtswissenschaftler Mathias Jahn von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Es sei "im Ganzen misslungen" und damit "nicht gerichtsfest".
Nach der Veröffentlichung der sogenannten MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche im Herbst 2018 hatte der Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, zunächst die Münchener Kanzlei mit der Untersuchung beauftragt. Sie sollte Personal- und sonstige Akten daraufhin durchleuchten, ob die damaligen Verantwortlichen gegen staatliches oder kirchliches Recht verstoßen hätten.
Gercke betonte, die MHG-Studie sei die "Richtschnur" für das neue Gutachten. Deshalb würden auch die Fälle von sämtlichen in der Studie aufgelisteten 386 Betroffenen analysiert: "Wir prüfen jeden Fall unabhängig von der Verjährung nach kirchlichem Strafrecht." Ziel der Studie sei weiterhin eine Zuschreibung von Verantwortung, nicht von Straftaten, was Sache der Staatsanwaltschaft sei. Seine Kanzlei könne aber nur ein ausschließlich juristisches Gutachten liefern, keine Untersuchung nach moralisch-ethischen Grundlagen.