Amerikanistin: Evangelikale könnten US-Wahl entscheiden

Amerikanistin: Evangelikale könnten US-Wahl entscheiden
30.10.2020
epd
epd-Gespräch: Alexander Lang

Worms, Heidelberg (epd). Evangelikale Wähler könnten nach Einschätzung der in Worms lebenden Amerikanistin Melanie Gish einmal mehr das Zünglein an der Waage im US-Präsidentschaftswahlkampf sein. Zwar liege der demokratische Kandidat Joe Biden nach aktuellen Umfragen deutlich vor US-Präsident Donald Trump, sagte Gish dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch hätten bei der Wahl 2016 evangelikale Christen dem Republikaner Trump letztlich zum knappen Sieg verholfen: 81 Prozent gaben ihm damals ihre Stimme und nur 16 Prozent seiner Herausforderin Hillary Clinton von den Demokraten - ein wahlentscheidendes Votum.

Trump könne bei der Präsidentenwahl am kommenden Dienstag auf seine evangelikale "Kernwählerschaft" zählen, die etwa 20 Prozent der US-Bevölkerung ausmache, sagte Gish. Trump werde bei weißen evangelikalen Wählern trotz wachsender Ablehnung besonders wegen seines schlechten Corona-Managements wohl "nur ein paar Prozentpunkte einbüßen". Viele weiße Evangelikale sähen in Trump einen Verteidiger des Christentums sowie traditioneller amerikanischer Freiheitsrechte, wie Waffenbesitz. Schwarze Evangelikale unterstützten hingegen eher Biden.

Seit dem Entstehen der religiösen Rechten in den USA um das Jahr 1980 habe kein demokratischer Kandidat bei den US-Präsidentschaftswahlen mehr als ein Drittel der Wählerstimmen für sich verbucht. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Biden mehr als 30 Prozent erzielt", sagte Gish. Auch die Corona-Pandemie und behördliche Maßnahmen, die gerade ärmeren und farbigen Wählerschichten die Stimmabgabe erschwerten, hätten eine Auswirkung auf den Wahlausgang. Für möglich hält Gish es auch, dass es zu gewaltsamen Unruhen in dem gesellschaftlich und politisch gespaltenen Land kommen könnte.

Zwar sei der Einfluss der Religion auf die US-Politik noch immer groß, sagte Gish. Für viele Amerikaner spiele aber die Frage der Religionszugehörigkeit der Präsidentschaftskandidaten immer weniger eine Rolle. Viele Menschen begegneten der von dem protestantischen Kandidaten Trump und dem katholischen Herausforderer Biden medienwirksam betonten Frömmigkeit mit Misstrauen.

Die evangelikale Bewegung in den USA sieht Gish im Wandel. Die Amerikanistin hat jüngst an der Universität Heidelberg über die neu entstehende evangelikale Umweltbewegung in den USA promoviert. Viele protestantische Christen, die eine Bekehrung erlebt haben und in einer "persönlichen Beziehung" zu Jesus Christus stehen, lehnten die Bezeichnung "Evangelikale" für sich selbst ab. Sie kritisierten, dass sich ihre Bewegung zu stark politisiert habe und sich von rechtsextremen und militanten Gruppierungen einnehmen lasse.