Am Beispiel des Reformators Martin Luther (1483-1546) können Menschen aus Sicht des Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann bis heute streiten lernen. Luthers Beharrlichkeit im Konflikt mit Papst und Kaiser sei vorbildlich, sagte der Göttinger Theologieprofessor dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit Blick auf den Reformationstag am 31. Oktober. Luthers Beispiel zeige, was es bedeute, von einer Sache zutiefst überzeugt zu sein und für sie auch gegen den Mainstream einzustehen. "In diesem Punkt kann sein Lebenszeugnis auch nach 500 Jahren noch anregen und ermutigen." Luther hatte sich 1521 vor dem Kaiser geweigert, seine reformatorischen Überzeugungen zu widerrufen.
In der heutigen Gesellschaft sei die Versuchung groß, den leichteren Weg zu gehen und sich anzupassen, sagte Kaufmann, der zu den renommiertesten Luther-Kennern in Europa zählt. Als Beispiel nannte er die seit der Beginn der Corona-Pandemie alltäglichen Video-Konferenzen. Seiner Erfahrung nach verführt das digitale Format dazu, Konflikte nicht anzugehen. Zu einem guten Miteinander gehöre aber manchmal auch der offene Streit. "Über Luther kann man sich permanent ärgern. Aber das ist auch seine Stärke. An ihm kann man sich reiben, aber auch aufrichten", betonte der Theologe.
Ihn beeindrucke auch, wie sich religiöse Leidenschaft und Vernunft bei Luther ergänzen. Das zeige Luthers Einsatz für das Gemeinwohl während der Pestepidemie 1527 in Wittenberg. Einige Bürger hätten damals entgegen den Maßgaben des städtischen Magistrats gemeinsam getrunken und gefeiert. Andere hätten die Epidemie als Strafe Gottes gedeutet. Sie alle habe Luther zu Disziplin und Vernunft aufgerufen. Er habe daran festgehalten, dass Gottes Wege unerforschlich seien. Gott dulde zwar die Krankheit, aber mehr könne man nicht sagen. "Für Luther war klar: Gott ist der, der die Arznei erfindet. Er ist derjenige, der auf der Seite der Retter steht. Und unsere Aufgabe als Christen besteht darin, dem Nächsten dienlich zu sein", sagte Kaufmann.
Der Reformationstag dürfe aber nicht rein reines Luther-Gedenken sein, betonte der Professor. Als arbeitsfreier Feiertag in Nord- und Ostdeutschland müsse er ein Tag für alle Bürger sein. Er sei er eine hervorragende Gelegenheit für vielfältige Begegnungen zwischen den Religionen, aber auch zwischen religiösen Menschen und solchen, die sich keiner Religion zugehörig fühlten. Die Kirchen könnten hier nur Impulse setzen, müssten sich aber starke Partner vor Ort suchen, etwa Moscheegemeinden, die Stadt oder Vereine.