Papst fordert solidarischere Weltordnung

Papst fordert solidarischere Weltordnung
Angesichts der Corona-Pandemie ruft Papst Franziskus zu mehr "Geschwisterlichkeit" unter den Menschen auf. "Fieberhafter Konsumismus" und "egoistische Selbsterhaltung" dürften nicht weiter um sich greifen.

Rom, Assisi (epd). Papst Franziskus fordert eine radikale wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Wende als Antwort auf die Corona-Krise. Die Pandemie habe die Unfähigkeit zum gemeinsamen Handeln offenbart, schreibt er in seiner am Sonntag im Vatikan veröffentlichten neuen Enzyklika. "Trotz aller Vernetzung ist eine Zersplitterung eingetreten, die es erheblich erschwert hat, die Probleme, die alle betreffen, zu lösen", betont das katholische Kirchenoberhaupt in dem rund 80-seitigen Lehrschreiben "Fratelli tutti" (Alle Brüder).

Die "schlimmste Reaktion" auf die derzeitige Gesundheitskrise wäre, "noch mehr in einen fieberhaften Konsumismus und in neue Formen der egoistischen Selbsterhaltung zu verfallen", schreibt der 83 Jahre alte Papst in seiner dritten Enzyklika. Darin äußert er die Hoffnung, dass die Pandemie nicht ein weiteres schwerwiegende Ereignis der Geschichte sein wird, aus dem die Menschheit nicht gelernt haben wird. Aus dem "Rette sich wer kann" werde rasch ein "Alle gegen alle", und das werde schlimmer als eine Pandemie sein.

Papst Franziskus hatte seine neue Enzyklika am Samstag in Assisi unterzeichnet. Das katholischen Kirchenoberhaupt feierte zuvor am Grab von Franz von Assisi (1182-1226) eine Messe. Wegen der Corona-Pandemie fand die Feier unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das Lehrschreiben wurde am Sonntag in mehrere Sprachen übersetzt veröffentlicht.

In der Enzyklika mit dem Untertitel "Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft" beklagt Franziskus Rückschritte bei der Verhinderung bewaffneter Konflikte und vielfältige Formen von Ausgrenzung. Die Globalisierung tendiere in ihrer derzeitigen Form, wirtschaftlich starke Länder zu fördern und schwächere in ihrer Entwicklung zu behindern und abhängig zu machen. Grundlegende Begriffe wie Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit würden sinnentleert und manipuliert, um sie als "Herrschaftsinstrumente" zu nutzen. Der Papstkritisiert er ein "Wirtschaftsmodell, das auf dem Profit gründet und nicht davor zurückscheut, den Menschen auszubeuten, wegzuwerfen und sogar zu töten".

Schmerz, Unsicherheit, Furcht und das Bewusstsein der eigenen Grenzen, welche die Pandemie verursacht habe, müssten die Menschen dazu bewegen, den eigenen Lebensstil und das eigene Gesellschaftsmodell zu überdenken. Franziskus fordert in diesem Zusammenhang eine neue Auslegung des Eigentumsbegriffs im Hinblick auf die "allgemeine Bestimmung der Güter der Erde" und das allgemeine Anrecht auf ihren Gebrauch. Unternehmer hätten die Aufgabe, an einer Überwindung der Armut mitzuwirken und Arbeitsplätze zu schaffen. "Der Markt allein löst nicht alle Probleme, auch wenn man uns zuweilen dieses Dogma des neoliberalen Credos glaubhaft machen will."

Angesichts der wachsenden internationalen Spannungen und der Flüchtlingsströme dringt der Papst in seiner Enzyklika auf eine Reform der Vereinten Nationen und eine "umfassende Gesetzgebung für Migration".

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, würdigte die Enzyklika als einen "eindringlichen Appell für weltweite Solidarität und internationale Zusammenarbeit." Papst Franziskus wende sich insbesondere gegen nationale Abschottung und rege an, über eine "Ethik der internationalen Beziehungen" nachzudenken. Er setze sich für Chancengerechtigkeit, soziale Inklusion und Teilhabegerechtigkeit ein. "Die Deutsche Bischofskonferenz fühlt sich damit bestätigt in ihrem Engagement der zurückliegenden 25 Jahre, in dem sie sich immer wieder zu gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen geäußert hat und für diese sozialethischen Werte und Ziele eingetreten ist", so Bätzing. Die Kirche stehe in der Pflicht, sich in gesellschaftliche und politische Diskussionen und Entscheidungsprozesse einzubringen. "Dazu fordert die Enzyklika uns weiterhin auf."

Eine Enzyklika ist ein Päpstliches Rundschreiben an einen Teil oder an alle Bischöfe sowie an alle Gläubigen, oft auch an alle Menschen guten Willens. Sie befasst sich mit Gegenständen der Glaubens- und Sittenlehre, der Philosophie, der Sozial-, Staats- und Wirtschaftslehre sowie der Disziplin und der Kirchenpolitik. Päpstliche Rundschreiben sind Ausdruck oberster Lehrgewalt des Papstes, aber keine "unfehlbaren" Lehräußerungen.

epd bg/tz