Lebensverhältnisse, zeigt aber auch Verständnis für die Frustrationen mancher Ostdeutscher.
Berlin (epd). Zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit haben Politiker, Kirchen und Verbände die Leistungen der Ostdeutschen gewürdigt und weitere Anstrengungen für gerechte Verhältnisse gefordert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte Verständnis dafür, dass sich einige Menschen in Ostdeutschland als Bürger zweiter Klasse fühlten. Dafür gebe es Auslöser wie etwa "verpasste Lebenschancen", sagte Merkel dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Freitag). Sie sehe aber große Fortschritte bei der Angleichung der Lebensstandards in Ost und West.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte im Bundestag, man dürfe nicht vergessen, dass es die Bürger im Osten gewesen seien, die 1989 die Freiheit erkämpft hätten. Auch der Vizekanzler räumte weiter bestehende Unterschiede bei Löhnen, Renten und Arbeitszeiten zuungunsten der Ostdeutschen ein und verlangte mehr Ostdeutsche in Führungspositionen. In teilweise sehr persönlichen Reden äußerten Abgeordnete Dankbarkeit für die Wiedervereinigung Deutschlands vor 30 Jahren.
Die beiden großen christlichen Kirchen warnten zum Tag der Deutschen Einheit vor einer gesellschaftlichen Spaltung. Es seien "wachsende Abstände" zu beobachten, veranlasst nicht nur durch die Corona-Pandemie, "sondern auch durch sich verschärfende soziale Ungleichheiten und durch einen sich polarisierenden öffentlichen Diskurs", heißt es in einer Erklärung von katholischer Deutscher Bischofskonferenz und Evangelischer Kirche in Deutschland.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie forderte dazu auf, den Tag der Einheit zur gemeinsamen "öffentlichen Reflexion" zu nutzen: "Ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir öffentlich darüber nachdenken und streiten, was wir für ein Land sein wollen." Dieter Dombrowski, Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, betonte, es sei wichtig, "dass die Deutschen in allen Teilen unseres Landes mehr übereinander erfahren. Darum sollten Dialoge nicht nur in Jubiläumsjahren stattfinden."
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und sein baden-württembergischer Amtskollege Winfried Kretschmann (Grüne) erklärten in einem gemeinsamen Interview die deutsche Einheit für vollendet. "Wir haben nach 30 Jahren die Einheit Deutschlands erreicht - in den Köpfen und materiell. Wir können uns jetzt gemeinsamen Zukunftsaufgaben widmen", sagte Kretschmer der in Chemnitz erscheinenden "Freien Presse" (Freitag). Sein Kollege aus Stuttgart erklärte: "Wir haben kein Ost-West-Thema mehr."
Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov zeichnet dagegen ein anderes Bild. Demnach halten 64 Prozent der Bürger den Unterschied der Lebensverhältnisse weiter für zu groß, um von vollendeter Einheit zu sprechen.
Auch der Sozialverband VdK Deutschland beklagte weiter bestehende große soziale Unterschiede. "Von sozialer Einheit kann noch keine Rede sein", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitag). Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) riet den Ostdeutschen, mit mehr Selbstbewusstsein aufzutreten. "Ich finde, sie könnten lauter, kraftvoller und selbstbewusster sein", sagte Ramelow der "Welt" (Freitag).