Erfurt (epd). Das Land Berlin darf einer muslimischen Bewerberin für eine Lehrerinnenstelle nicht pauschal das Tragen eines Kopftuches verbieten. Das im Berliner Neutralitätsgesetz enthaltene pauschale Verbot des Tragens religiöser oder anderer weltanschaulicher Symbole im Schulunterricht stelle eine nicht hinzunehmende Diskriminierung wegen der Religion dar, urteilte am Donnerstag das Bundesarbeitsgericht (AZ: 8 AZR 62/19). Die Erfurter Richter bestätigten damit im Ergebnis das Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg, welches einer muslimischen Stellenbewerberin eine Diskriminierungsentschädigung zugesprochen hatte.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßte die Entscheidung. Das Bundesarbeitsgericht habe damit klar gestellt, dass ein pauschales Verbot religiöser Symbole beim Zugang zum Schuldienst eine nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbotene Diskriminierung wegen der Religion der Bewerberin darstelle, sagte der kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke. Er empfahl dem Land Berlin, das Neutralitätsgesetz zu überarbeiten, um künftige Konflikte mit dem bundesweiten AGG auszuschließen.
Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) erklärte auf Twitter, dass Gesetz solle noch in dieser Legislaturperiode geändert werden. "Der Konflikt um das Neutralitätsgesetz darf nicht weiter auf dem Rücken der betroffenen Frauen ausgetragen werden", betonte Behrendt. Berlin könne es sich nicht weiter leisten, geeignete Lehrkräfte zu diskriminieren. Und weiter schrieb der Justizsenator auf Twitter: "In der multireligiösen Gesellschaft muss es darum gehen, was jemand im Kopf und nicht auf dem Kopf hat."
Das Bündnis #GegenBerufsverbot bezeichnete die Gerichtsentscheidung als "wichtigen Schritt für die Rechte von Frauen und Minderheiten". Die Entscheidung habe symbolischen Wert und erinnere daran, dass die Kriminalisierung und der Ausschluss von Muslimen und Musliminnen falsch sei, sagte Bündnissprecherin Miriam Aced.
Die muslimische Klägerin, eine Diplominformatikerin, hatte sich als Lehrerin an einer normalen Schule beworben. Kurz nach dem Bewerbungsgespräch wurde sie darauf hingewiesen, dass sie nach den Berliner Regelungen im Schulunterricht aus Neutralitätsgründen kein islamisches Kopftuch tragen dürfe. Eine Ausnahme gelte nur für den Religionsunterricht und für berufliche Schulen. Nachdem die Frau erwiderte, ihr islamisches Kopftuch aber nicht ablegen zu wollen, erhielt sie eine Absage.
Gerichtlich machte sie eine Entschädigung geltend. Sie sei mit dem pauschalen Kopftuchverbotes wegen ihrer Religion diskriminiert worden, argumentierte sie.
Das LAG gab ihr Recht und sprach ihr eine Entschädigung in Höhe von eineinhalb Monatsgehältern zu, insgesamt 5.159 Euro (AZ: 7 Sa 963/18). Die Berliner Richter stützten sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015 zum pauschalen Kopftuchverbot in Nordrhein-Westfalen (AZ: 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10). Danach sei der damit verbundene Eingriff in die Religionsfreiheit "erst dann zu rechtfertigen, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität feststellbar ist". Diese konkrete Gefahr sei hier aber nicht feststellbar, so das LAG.
Dies bestätigte nun auch das BAG. Das in den Berliner Bestimmungen enthaltene pauschale Verbot, religiöse oder weltanschauliche Symbole sichtbar im Schulunterricht zu tragen, sei mit der Verfassung nicht vereinbar. Allerdings könne die Regelung "verfassungskonform" ausgelegt werden. Damit sei ein Verbot nur bei konkreten Gefahren - wie etwa die Störung des Schulfriedens - zulässig. Diese Gefahren habe das Land im Streitfall aber nicht dargelegt. Eine Vorlage des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) lehnte das BAG ebenfalls ab.