Berlin, São Paulo (epd). In Brasilien hat der Fall eines vergewaltigten schwangeren zehnjährigen Mädchens heftige Proteste von Evangelikalen ausgelöst. Sie versammelten sich am Sonntag (Ortszeit) vor einem Krankenhaus in Recife, der Hauptstadt des Bundesstaates Pernambuco, um einen Schwangerschaftsabbruch zu verhindern, wie die Tageszeitung "Estado de São Paulo" berichtet. Zuvor hatte das Gericht des Bundesstaates Espírito Santo eine Abtreibung erlaubt, weil das Leben des Mädchens in Gefahr sei.
In zahlreichen Videos in sozialen Medien ist zu sehen, wie die Demonstranten den Eingang blockieren und die behandelnden Ärzte am Betreten der Klinik hindern. Erst durch das Eingreifen der Polizei konnte die Blockade aufgelöst werden. Das Mädchen konnte nur geschützt durch Polizisten die Klinik betreten. Ihr wurden Rufe wie "Mörderin" entgegengeschrien. Zuvor hatten sich Krankenhäuser trotz der richterlichen Verfügung geweigert, den Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.
Der Fall des Mädchens, das aus armen Verhältnissen stammt und bei seiner Großmutter aufwächst, wurde öffentlich, nachdem die streng evangelikale Familienministerin Damares Alves in sozialen Netzwerken Bedauern über die Gerichtsentscheidung geäußert hatte. Daraufhin meldeten sich weitere evangelikale Politiker und Anhänger von Staatspräsident Jair Bolsonaro zu Wort und übten Druck auf die Justiz sowie die Familie des Mädchens aus.
Die Zehnjährige aus der Stadt São Mateus in Espíritu Santo gab vor Gericht an, bereits seit dem sechsten Lebensjahr von einem Onkel missbraucht zu werden. Gegen den mutmaßlichen Vergewaltiger liegt ein Haftbefehl vor, der Mann ist aber flüchtig.
Die Debatte berührt ein Tabuthema in Brasilien. In dem südamerikanischen Land darf eine Schwangerschaft nur dann abgebrochen werden, wenn eine von den Behörden bestätigte Vergewaltigung vorliegt oder Gefahr für das Leben der Mutter besteht. Dafür muss die Frau eine gerichtliche Entscheidung erwirken.
Wie groß die Not vieler Frauen ist, zeigt die Zahl illegaler Abtreibungen, die Experten auf mehr als eine Million pro Jahr schätzen. Rund 90 Prozent der Eingriffe werden unter hygienisch katastrophalen Zuständen vorgenommen. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO stirbt alle zwei Tage eine Frau an den Spätfolgen einer verpfuschten Abtreibung.