Magdeburg (epd). Im Prozess gegen den Attentäter von Halle sind am Dienstag in Magdeburg weiter die Hintergründe für den antisemitischen Anschlag vom 9. Oktober 2019 beleuchtet worden. Der 28-jährige Angeklagte machte erneut keinen Hehl aus seiner antisemitischen und rassistischen Einstellung. Zudem wurde am Dienstag ein Polizeibeamter als erster Zeuge befragt, der über die ersten Vernehmungen von Stephan B. nach der Tat berichtete. Indes wurde vor der Synagoge in Halle ein lange sichtbares Zeichen des Anschlags ausgetauscht: Die beschädigte Tür, die der Attacke standhielt, wurde erneuert.
In der Befragung durch die Nebenklage, inzwischen gibt es 45 Nebenkläger, ging es unter anderem um das "Manifest" des Angeklagten. Erneut bekräftigte B. vor Gericht, von seinem Plan, möglichst viele Juden zu töten, überzeugt zu sein. Er hätte auch auf jüdische Kinder geschossen, sagte er, da er auch in ihnen seine Feinde sehe. Konfrontiert damit, dass ihm eine komplexe Persönlichkeitsstörung mit autistischen Zügen attestiert worden sei, sagte der Angeklagte: "Ich sehe mich nicht als verrückt." Auf die Frage, ob er ein Antisemit sei, sagte er: "Das stimmt."
Im Gericht wurde auch ein Brief der Mutter des Angeklagten verlesen, den diese nach der Tat kurz vor einem Selbstmordversuch geschrieben haben soll und in dem sie sich selbst antisemitisch äußert. Der Angeklagte schiebt dies auf Nachfrage auf den Einfluss von Alkohol und Tabletten, er habe mit ihr keine politischen Diskussionen geführt, eine antisemitische Einstellung der Mutter verneint er. Seine Schwester soll indes in einer Vernehmung über Stephan B. gesagt haben, dass er alle Ausländer hasse, vorrangig Juden.
Die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens merkte während der Befragung an, die Anwälte sollten auf die Fragen an den Angeklagten achten, damit er seine nur schwer erträglichen Ideologien nicht mehrfach wiederhole. Eine Anwältin der Nebenkläger verlas nach der Befragung des Angeklagten eine Erklärung: Antisemitismus und Rassismus dürfe nicht unwidersprochen bleiben. Die Tat sei nicht zu pathologisieren oder mit dem Werdegang zu entschuldigen, sie bewege sich in einem gesellschaftlichen Resonanzraum, erklärte sie und verwies auf digitale Verbindungen. Zuvor hatte ihr jüdischer Mandant auch persönlich Fragen an den Angeklagten gestellt.
Ein 51-jähriger BKA-Beamter beschrieb die Vernehmung von Stephan B. nach der Tat. Nach seiner Aussage waren es drei Ereignisse, die B. zum Attentat veranlassten. Im Jahr 2013 hatte B. längere gesundheitliche Probleme, musste operiert werden. Das Jahr 2015 soll B. in der Vernehmung selbst als Zäsur beschrieben haben, in dem er entschieden habe, sich zu bewaffnen. Schließlich habe ihn am 15. März 2019 der Terroranschlag von Christchurch (Neuseeland) beeinflusst.
Stephan B. hatte am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt, zwei Menschen erschossen und weitere verletzt. Vor der Synagoge erschoss er eine 40-jährige Frau und in einem Döner-Imbiss einen 20-jährigen Mann. Die Bundesanwaltschaft hat den 28-Jährigen wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie weiteren Straftaten angeklagt. Mit Sprengsätzen und Schusswaffen wollte er in die abgeschlossene Synagoge gelangen, schaffte es jedoch nicht, die Tür öffnen. Zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hielten sich dort 52 Gläubige auf.
Die Tür des Gotteshauses wurde am Dienstag unterdessen ausgetauscht. Die Synagogentür mit den Einschlusslöchern soll bis zum Jahrestag des Anschlags als Mahnmal auf dem Gelände der Jüdischen Gemeinde aufgestellt werden. Die neue Tür stammt erneut vom Dessauer Tischlermeister Thomas Thiele. Er sagte dem epd, die neue Synagogentür sei wie die alte aus Eichenholz und wiege schätzungsweise zwischen 120 und 140 Kilogramm. Sie sei damit schwerer als die alte. "Für mich ist bis heute nicht vorstellbar, was gewesen wäre, wenn meine Tür nicht gehalten hätte, wenn es noch mehr Opfer gegeben hätte", sagte der Tischler.