Wiesbaden (epd). Die Drohmail- und Polizeiaffäre in Hessen nimmt immer größere Ausmaße an. Innenminister Peter Beuth (CDU) berichtete am Dienstag im Innenausschuss des Wiesbadener Landtags von bislang 69 Drohschreiben mit dem Kürzel "NSU 2.0" an insgesamt 27 Personen und Institutionen in acht Bundesländern. Fast alle stammen demnach von derselben Mailadresse, die aber aufgrund gezielter Verschleierung bislang keinem konkreten Verfasser zugeordnet werden konnte.
Er habe nach wie vor keine konkreten Hinweise auf ein rechtes Netzwerk in den Reihen der Polizei in Hessen, sagte Beuth, der in der Sitzung mit 56 Fragen zu der Affäre aus den Reihen der Opposition aus SPD, FDP und Linken konfrontiert wurde. Der Minister nannte die Drohungen und Einschüchterungen nicht nur für die Betroffenen bedrückend und beängstigend. "Diese Bedrohungen sind zugleich ein Angriff auf uns alle und unerträglich", fügte Beuth hinzu und versprach: "Wir werden alles Erdenkliche tun, um den oder die Täter zu ermitteln und die Datenabfragen aufzuklären."
Oppositionspolitiker hingegen sehen nach den von Beuth und Vertretern der Frankfurter Staatsanwaltschaft geschilderten Abläufen den Eindruck bestätigt, dass die Ermittlungen in den vergangenen zwei Jahren nicht mit höchster Priorität geführt worden sind. Nach den Worten des Innenministers begann die Serie der rechtsextremistischen Todesdrohungen mit Mails an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz im August 2018. Über sie und ihre kleine Tochter waren zuvor persönliche Daten auf einem Computer in einem Frankfurter Polizeirevier ohne dienstlichen Anlass abgefragt worden. Gegen zwei zu dieser Zeit im Computer eingeloggte Polizeibeamte wird ein Ermittlungsverfahren geführt, das offenbar auch mit der später aufgedeckten rechtsextremistischen Chatgruppe auf diesem Revier zu tun hat.
Bei der seit 2019 bedrohten Berliner Kabarettistin Idil Baydar und der seit Februar dieses Jahres mit Drohmails bedachten hessischen Linken-Fraktionschefin Janine Wissler wurden dagegen private Daten aus den Polizeicomputern zweier Reviere in Wiesbaden abgefragt. In diesen beiden Fällen würden die eingeloggten Polizeibeamten mangels konkretem Tatverdacht aber nicht als Beschuldigte geführt. Auf Empörung bei SPD und Linken stieß, dass erst nach Monaten disziplinarrechtlich mit diesen Polizisten gesprochen worden sei und es auch keine Durchsuchungen gegeben habe. Die beiden Polizisten gaben den Schilderungen zufolge an, zwar an dem betreffenden Tag im Computer eingeloggt gewesen zu sein, mit der Datenabfrage aber nichts zu tun zu haben.
SPD-Fraktionschefin Nancy Faeser kritisierte zudem, dass Beuth über die Drohmails gegen Wissler schon seit Februar gewusst und auch mit Wissler Kontakt aufgenommen habe, aber keine proaktive Informationspolitik betrieben habe. Wenn man immer nur nach Presseberichten informiere, trage man nur zum Misstrauen gegen die Polizei bei. "Ihr Krisenmanagement ist unterirdisch", sagte die Oppositionsführerin an Beuth gerichtet. Der Minister bekräftigte erneut, dass er erst am 8. Juli über die beiden Polizeiabfragen in Wiesbaden informiert wurde. Das entspreche nicht dem, was er in solch brisanten Fällen von Polizei und Landeskriminalamt erwarte. Für die Pannen hatte der Landespolizeipräsident Udo Münch die Verantwortung übernommen und sich in den einstweiligen Ruhestand versetzen lassen.
Von den 27 bedrohten Personen wohnen Beuth zufolge neun in Hessen. Im Fall der Linken-Bundestagsabgeordneten Martina Renner und der Berliner Fraktionschefin der Partei, Anne Helm, haben die hessischen Behörden die Unterlagen der Bundesanwaltschaft zugänglich gemacht. Die Karlsruher Behörde soll prüfen, ob sie die Ermittlungen übernimmt. Es habe auch Rechtshilfeersuchen an Stellen in den USA, Russland und Frankreich sowie Kontakte zu Staatsanwaltschaften in anderen Bundesländern gegeben, sagte Beuth.