Gütersloh (epd). Mit rund 7,7 Millionen Beschäftigten hat Deutschland mittlerweile den größten Niedriglohnsektor in Europa. Was als Sprungbrett in gut bezahlte, sozialversicherungspflichtige Jobs gedacht war, erweist sich einer aktuellen Studie zufolge jedoch für die Hälfte der Geringverdiener als Sackgasse. 49 Prozent von ihnen verharrten auch vier Jahre später noch im Niedriglohn, wie eine am Donnerstag veröffentlichte Analyse des Beratungsunternehmens DIW Econ im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ergab. Betroffen sind demnach vor allem Frauen und Beschäftigte über 50 Jahren.
Lediglich 27 Prozent gelinge der Aufstieg, hieß es. Die verbliebenen 24 Prozent würden entweder arbeitslos, gingen in Rente oder zögen sich von selbst aus dem aktiven Berufsleben zurück. Die Analyse stützt sich auf Daten des Sozio-ökonomischen Panels, das auf einer Langzeitbefragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) beruht. Zudem werteten die Studienautoren die Lohnmobilität von geringfügig Beschäftigten zwischen 1995 und 2018 aus.
Die Studie offenbart zudem, dass zunehmend auch qualifizierte Tätigkeiten unterhalb der Niedriglohnschwelle vergütet werden. So sei die Anzahl Niedriglohnbeschäftigter, die Tätigkeiten mit mittleren und hohen Qualifikationsanforderungen ausüben, seit Mitte der 1990er Jahre um knapp eine Million Beschäftigte auf über drei Millionen angewachsen. Dies entspreche rund 40 Prozent aller Niedriglohnbeschäftigten. Von ihnen hätten es zuletzt immerhin 60 Prozent geschafft, innerhalb von vier Jahren die Niedriglohnschwelle zu überwinden.
Die Ausweitung des Niedriglohnsektors war seinerzeit mit der Hoffnung verbunden, Arbeits- und Erwerbslosen einen einfacheren Einstieg in Beschäftigung zu ermöglichen. Die Arbeitslosigkeit sei gesunken, sagte der Vorstand der Bertelsmann Stiftung, Jörg Dräger: "Allerdings zu einem hohen Preis: Niedrige Löhne dienen nicht mehr dem bloßen Einstieg in den Arbeitsmarkt, sondern sind häufig ein Dauerzustand." Die Corona-Krise verschärfe die Lage vor allem für Minijobber. "Ohne das Sicherheitsnetz des Kurzarbeitergeldes erleiden sie als erste Einkommenseinbußen oder verlieren ihre Arbeit", erklärte Dräger.
Mehr als ein Fünftel aller abhängig Beschäftigten in Deutschland verdiente demnach 2018 weniger als 11,40 Euro brutto pro Stunde. Ein großer Teil von ihnen sind Minijobber, die mit einem durchschnittlichen Verdienst von 8,40 Euro weniger als den gesetzlichen Mindestlohn (derzeit 9,35 Euro) erhalten. Mehr als die Hälfte der Niedriglohnbeschäftigten war im Groß- und Einzelhandel, im Transportwesen, in der Nahrungsmittelindustrie sowie im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen tätig.
Frauen sind demnach mit 61 Prozent aller Beschäftigten im Niedriglohnsektor überpräsentiert. Während 2018 rund 28 Prozent der erwerbstätigen Frauen zu Niedriglöhnen arbeiteten, taten dies lediglich 16 Prozent der Männer, wie es hieß.
Im Vergleich mit über 50-Jährigen gingen laut Studie 2018 mehr jüngere Menschen (18 und 29 Jahren) einer gering entlohnten Tätigkeit nach, etwa in Ausbildung. Mit dem Einstieg ins Berufsleben habe ein Drittel von ihnen den Aufstieg in ein höheres Lohnsegment geschafft. Von den älteren Beschäftigten sei das nur jedem fünften gelungen.
Die Studienautoren von DIW Econ empfehlen Reformen, um den wachsenden Niedriglohnsektor einzudämmen. Sie schlagen unter anderem vor, die Verdienstgrenzen bei Minijobs von 450 auf 250 Euro abzusenken.