"Jugendsünden sollten Kinder nicht ein Leben lang digital verfolgen"

"Jugendsünden sollten Kinder nicht ein Leben lang digital verfolgen"
Drei Fragen an den Rechtswissenschaftler Alexander Roßnagel zum Datenschutz von Minderjährigen
29.06.2020
epd
epd-Gespräch: Leonie Mielke

Karlsruhe/ Kassel (epd). Datenschutz ist nicht nur für Erwachsene ein großes Thema. Für Kinder, die auch mal Quatsch machen und noch eine lange Zukunft vor sich haben, spielt er eine noch größere Rolle. Die interdisziplinäre Plattform "Forum Privatheit" mit Sitz in Karlsruhe fordert daher für Minderjährige mehr Datenschutz im Internet, wie ihr Sprecher, der Kasseler Rechtswissenschaftler Alexander Roßnagel, in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt.

epd: Welche Anforderungen sollte eine Kinder-App datenschutzrechtlich mindestens erfüllen?

Roßnagel: Die Gesetze besagen, dass Nutzer bewusst und gewollt ihre Einwilligung zur Datenverarbeitung geben müssen. Das setzt voraus, dass sie die dahinterliegenden Mechanismen erfassen und verstehen. Von einem sechsjährigen Kind ist das natürlich nicht zu erwarten. Daher sollten Betreiber von Apps, die sich an Kinder richten oder von Kindern viel genutzt werden, eine Einwilligung der Eltern einfordern. Damit die Kinder nicht tricksen können, sollte dies in einer gesicherten Form, etwa eines Telefonats oder Mailaustausches, passieren. Andernfalls rate ich den Eltern, die App zu löschen, den Anbieter aufzufordern, alle bereits erfassten Daten ebenfalls zu vernichten, und einen zuständigen Datenschutzbeauftragten zu informieren.

epd: Das "Forum Privatheit" fordert insbesondere ein Verbot von personalisierter Werbung, Tracking und Profilbildung bei Kindern. Welche Gefahren sehen Sie für die Kleinen?

Roßnagel: Diese Instrumente haben das Ziel, das Konsumverhalten des Nutzers zu steuern. Das ist bei Kindern ein zu harter Eingriff in ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie können sich diesem Einfluss nicht bewusst widersetzen oder einschätzen, ob ihr Geldbeutel für eine bestimmte Anschaffung reicht. Grundsätzlich wird ihre freie Willensbildung dadurch verhindert. Es ist uns auch wichtig, dass über Bildungs-Apps gewonnene Daten gelöscht werden, wenn ein Kind die Schule verlässt. Spätere Arbeitgeber, Banken oder Versicherungen könnten sich für solche Daten interessieren. Es sollte nicht jede Jugendsünde die Kinder ein Leben lang digital verfolgen.

epd: Brauchen wir eine eigene Datenschutzgrundverordnung für Kinder?

Roßnagel: Nein, die jetzige gilt für Erwachsene und auch Kinder gleichermaßen. Das ist aber auch ein Problem, weil sie den besonderen Schutzbedürfnissen von Kindern nicht gerecht wird. Sie müsste systematisch überarbeitet werden, um den spezifischen Gefährdungen von Kindern gerecht zu werden. Derzeit finden sich zu viele wachsweiche Formulierungen darin, da heißt es etwa, der "Anbieter müsse die Interessen von Kindern berücksichtigen". Was das konkret heißt, weiß kein Mensch.