Berlin (epd). Die Bundesregierung hofft auf dauerhaft niedrige Covid-19-Infektionszahlen mit Hilfe der neuen Corona-Warn-App. Die digitale Anwendung "dient vor allem der Vermeidung einer zweiten Welle", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei der offiziellen Vorstellung der App am Dienstag in Berlin. Ebenso wie bei den Regeln zum Abstandhalten, zur Hygiene und Alltagsmaske sei das Ziel der App, einem nicht mehr nachvollziehbaren, dynamischen Infektionsgeschehen vorzubeugen, wie es im März in Deutschland der Fall gewesen sei. Die App sei aber kein Allheilmittel und kein Freifahrtschein, betonte Spahn. "Diese App ersetzt nicht vernünftiges Verhalten und Aufeinander-Acht-Geben."
Die sogenannte Tracing-App zur Nachverfolgung möglicher Infektionsketten kann ab sofort im App-Store heruntergeladen werden. Sie alarmiert Nutzerinnen und Nutzer, wenn sie Erkrankten zu nahe gekommen sind. Dafür benutzt die App eine energiesparende Bluetooth-Variante, über die Daten nur in geringer Menge und Reichweite übertragen werden können. Die App erzeugt Zufallszahlen und sendet diese aus. Das Gerät und die Person bleiben durch die Nutzung solcher Pseudonyme anonym. Wer innerhalb von zwei Wochen mehr als 15 Minuten weniger als zwei Meter von einer infizierten Person entfernt war, wird gewarnt und kann sich testen lassen - vorausgesetzt beide verwenden die App.
Spahn empfahl, trotz aktuell niedriger Infektionszahlen in Deutschland die Nutzung der App. Laut dem Robert Koch-Institut gab es am Dienstag 378 neue Covid-19-Fälle. Gerade in der Phase der Lockerung mit zunehmender Mobilität der Menschen mache sie Sinn: Etwa im Zug, Bus, in der S-Bahn oder bei Demonstrationen "kommen wir wieder immer mehr in Kontakt mit Personen, die wir nicht persönlich kennen", betonte Spahn. Kontaktnachverfolgung klassischer Art über Befragungen könne da nicht funktionieren.
Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) fügte hinzu, dass es leichter sei, Infektionszahlen niedrig zu halten, als hohe Zahlen zu reduzieren. Angesteckte sollten zudem von ihrer Infektion am besten bereits erfahren, bevor sie selbst merkten, dass sie erkrankt seien. So könnten sie sich rascher testen lassen, und eine Infektionskette könne frühzeitiger unterbrochen werden. Braun warb für die aus seiner Sicht international wegweisende App. "Das ist nicht die erste Corona-App weltweit, die vorgestellt wird, aber ich bin ziemlich überzeugt: Es ist die beste." Sie herunterzuladen und zu nutzen, sei für jeden ein kleiner Schritt, "aber ein großer Schritt für die Pandemiebekämpfung".
Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) versicherte, dass bei der App auch die "goldenen Regeln des Datenschutzes" eingehalten seien - sie sei freiwillig, anonym, Daten würden sparsam verwendet. Eine gesetzliche Regelung - wie aus der Opposition gefordert - hält sie nicht für notwendig, "weil die Lebenswirklichkeit keinen Anlass dazu gibt". Angesichts von Befürchtungen, dass Personen genötigt werden könnten, die App zu nutzen, weil etwa ein Gastwirt ihnen sonst keinen Zutritt gewährt, fragte sie: "Warum sollte er das denn tun?" Es sei doch genauso möglich, dass jemand eine Meldung über eine mögliche Infektion erst nach dem Abend im Restaurant bekomme.
Telekom-Chef Timotheus Höttges bezeichnete die App als "Rockstar" und kündigte an, dass analoge Prozesse zur Nachverfolgung der Infektionsketten jetzt gemeinsam mit den Laboren in den nächsten Wochen digitalisiert werden sollen. Dadurch würden bis zu vier Tage gewonnen. Das Datenvolumen der User werde durch die App nicht belastet - es sei also ein "Zero Rating"-Angebot. Die Telekom hat die App gemeinsam mit SAP entwickelt. SAP-Manager Jürgen Müller lobte die Transparenz des Projekts. "Open Source" habe als Stützpfeiler gedient: Jeder Mensch auf dem Planeten könne sich jedes Detail des Projekts anschauen.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie nannte es "ein Gebot der Solidarität", die App zu nutzen. In einem Land mit ungebrochen hohen Userzahlen bei sehr viel problematischeren digitalen Kommunikationsmöglichkeiten halte er die im Zusammenhang mit der App geführte Debatte um Datensicherheit für mindestens unverhältnismäßig. "Zumal viele seriöse Datenschützer keine grundlegenden Bedenken äußern", sagte Lilie.
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