Wissenschaftshistorikerin: "Den Rasse-Begriff brauchen wir nirgends"

Wissenschaftshistorikerin: "Den Rasse-Begriff brauchen wir nirgends"
13.06.2020
epd
epd-Gespräch: Franziska Hein

Frankfurt a.M. (epd). Die Wissenschaftsforscherin Veronika Lipphardt wirbt dafür, ganz auf den Begriff "Rasse" zu verzichten. "Der Begriff hat noch nie Sinn gemacht", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Es gibt keine menschlichen Rassen. Was es beim Menschen wie bei allen Spezies gibt, ist genetische Vielfalt", sagte die Professorin der Universität Freiburg im Breisgau. Diese Vielfalt sei komplex, vielschichtig und dynamisch. Nur ein kleiner Teil davon komme in äußerlichen körperlichen Merkmalen zum Ausdruck, und der lasse nicht zuverlässig auf eine bestimmte geografische Herkunft schließen.

Die Grünen-Politiker Robert Habeck und Aminata Touré hatten den Vorschlag in die Debatte um Rassismus infolge des gewaltsamen Todes des Afroamerikaners George Floyd eingebracht, den Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen.

"Rasse" ist ein Einteilungsbegriff und stammt laut Lipphardt aus der Frühen Neuzeit und wurde von Naturforscher Carl von Linné in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht. Er habe die Menschen in vier Kategorien eingeteilt. Diese Einteilung wurzele auch in der christlichen Überlieferung, die Söhne Noahs hätten verschiedene Kontinente besiedelt.

Die Vorstellung, es gebe Menschenrassen, habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel in Biologie-Schulbüchern bis in die 90er Jahre gehalten, sagte Lipphardt, die studierte Historikerin und Biologin ist. Diese Typologie habe sich durchgesetzt und sei tief im kulturellen Gedächtnis verankert. "Das führt dazu, dass Europäer andere Menschen, die für ihr Verständnis nicht-europäisch aussehen, unwillkürlich einer der Kategorien und damit der Herkunft ihrer Vorfahren zuordnen", sagte sie. Deswegen werde dunkelhäutigen Menschen oft die Frage nach ihrer Herkunft gestellt.

Der Begriff "Rasse" habe in der deutschen Sprache eine rein biologische Bedeutung. Wer ihn verwende, meine ihn meist biologistisch, sagte Lipphardt. Oft gebe es Missverständnisse durch eine falsche Übersetzung des englischen Begriffs "race" ins Deutsche. "Race" meine im angloamerikanischen Sprachraum die Zuordnung zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Im US-Zensus ordnen sich die Bürger selbst einer dieser Gruppen zu. Die so erhobenen Daten spielen eine wichtige Rolle bei Antidiskriminierungsmaßnahmen.

"Tierrassen" werden in englischsprachigen Ländern hingegen mit dem Begriff "breed" bezeichnet, was im Deutschen "Züchtung" bedeute. Dort fände man es seltsam, den Begriff "race" für Tiervarietäten zu verwenden. "Wir brauchen den Begriff Rasse nirgends", sagte Lipphardt. "Man sollte ihn ersatzlos streichen, weil er nicht das Pendant zum 'Race'-Begriff ist." Anstatt von "Rasse" solle man von Herkunft oder Aussehen sprechen.