Berlin (epd). Die Historikerin Hedwig Richter versteht sogenannte Verschwörungstheorien im Kern als Gegenbewegung zur Moderne. "Sie sind die Auflehnung gegen die Kompliziertheit unserer Welt", sagte die Münchner Geschichtsprofessorin der in Berlin erscheinenden "tageszeitung" (Mittwoch). Verschwörungstheorien böten ein ganzheitliches Weltbild, "alles kann auf einen Grund zurückgeführt werden". "Die großen Ideologien des 20. Jahrhunderts gaben sich zuweilen zwar wissenschaftlich, boten aber in ihren verqueren Lehren genau ein solches umfassendes Weltbild, das keine Fragen offenließ", sagte Richter, die an der Universität der Bundeswehr in München lehrt.
Bei Verschwörungstheorien gehe es immer "um die Reduktion von Komplexität - und um Selbstermächtigung", erklärte sie weiter: "Verschwörungstheorien sind eine Reaktion auf Unsicherheit und Krisen." Das Wissen um böse Mächte, die im Hintergrund alles steuerten, bedeute ein großartiges Herrschaftswissen, "weil sich damit alles erklären und verstehen lässt".
Dabei räumte Richter ein, dass rationale Erklärungen oft kompliziert seien: "Hagel und Sturm sind keine göttlichen Zeichen, sondern, empirisch belegbar, Wetterphänomene." Dies gelte auch für die aktuelle Pandemie: "Gerade sehen wir, welche Herausforderung schon die Einordnung eines Virus bedeuten kann."