Expertin: Für viele Behinderte ist die Tagesstruktur weggebrochen

Expertin: Für viele Behinderte ist die Tagesstruktur weggebrochen
16.05.2020
epd
epd-Gespräch: Markus Jantzer

Bochum (epd). Die Beschränkungen infolge der Corona-Pandemie sind auch in der Behindertenhilfe stark zu spüren: für die Behinderten selbst sowie ihre Betreuer und ihre Familien. "Mit der Schließung der Werkstätten ist die Beschäftigung und somit die Tagesstruktur für viele Menschen mit Behinderung von heute auf morgen weggebrochen", sagte Birgitta Neumann, die als Unternehmensberaterin seit März das Krisenmanagement einer Behinderteneinrichtung in Nordrhein-Westfalen übernommen hat, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die rund 1.250 betreuten Menschen mit einer Behinderung müssten seit Ausbruch der Corona-Krise in ihrem Wohnbereich intensiver begleitet werden. Dabei helfen die Angestellten der Werkstätten mit, "damit konnte auch größtenteils Kurzarbeit verhindert werden", sagte Neumann.

Die bevorstehenden Lockerungen, zu denen die Öffnungen der Werkstätten sowie das Ende der Besuchsverbote gehören, stellen die Behindertenträger laut Neumann vor erneute logistische Herausforderungen. "Denn es ist ja kein Schritt zurück in eine hundertprozentige Normalität. Wir müssen weiterhin die Auflagen wie den Mindestabstand berücksichtigen." Das habe etwa zur Folge, dass die Bewohnerinnen und Bewohner, die sonst morgens in einem Bus zur Werkstatt fahren, nun auf mindestens zwei Busse aufgeteilt werden müssten. "Wo sollen aber die Busse herkommen? Und: Wie wird das finanziert?"

Der erhöhte Betreuungsaufwand, der zum Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner erforderlich sei, werde mit dem bisherigen Personaleinsatz kaum zu leisten sein, ist Neumann überzeugt. "Es braucht daher eine öffentliche und unterstützende Diskussion, wie die Kosten, die dies in den Einrichtungen verursachen wird, refinanziert werden können."

Darüber hinaus wünscht sich die Sozialexpertin eine höhere Wertschätzung der Arbeit, die in der Eingliederungshilfe geleistet wird. "Wie viele in der Branche empfinde ich ein Ungleichgewicht zwischen der Aufmerksamkeit, die sozialen Berufen wie beispielsweise der Pflege eingeräumt wird, und dem, was dem Rest der sozialen Arbeit entgegenkommt." Die einmaligen Gehaltsprämien von mindestens 1.000 Euro, die Altenpflegerinnen und Altenpflegern in der Corona-Krise erhalten sollen, sollten auch anderen Sozialberufen bezahlt werden, forderte Neumann.