Köln (epd). Die evangelische Theologin Margot Käßmann hat Verständnis für die Aussagen von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) zum Schutz des Lebens in der Corona-Krise gezeigt. "Ich finde, es wird fehlinterpretiert, wenn Wolfgang Schäuble unterstellt würde, er hätte gesagt, das menschliche Leben muss man nicht so hoch einschätzen. Das hat er nicht gesagt. Aber er hat gesagt, man muss es auch abwägen gegenüber anderen Situationen", sagte die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Mittwoch im Kölner Deutschlandfunk.
Schäuble hatte angesichts der Einschränkungen vieler Grundrechte davor gewarnt, dem Schutz von Leben in der Corona-Krise alles unterzuordnen. "Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig", sagte er dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel" vom Wochenende. "Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen", betonte Schäuble.
Käßmann sagte: "Ich finde gut, dass er diese Frage aufgeworfen hat und wir diese Frage auch diskutieren. Ich würde es völlig missverstanden sehen, wenn gesagt würde, er schätzt die Würde des Lebens nicht so hoch ein. Die ist sehr hoch einzuschätzen, aber wir müssen sie ins Verhältnis setzen zur Würdeverletzung und zur Lebensgefährdung anderer Art, durch psychische Belastung, durch häusliche Gewalt und vieles, was wir jetzt diskutieren." Es sei richtig, dass Schäuble das anspricht und dass "diese Illusion von Unsterblichkeit, wir können alle schützen, dass die genommen ist."
Sie habe im Moment die Befürchtung, dass "die Würde angekratzt wird, etwa wenn Sterbenden nicht die Hand gehalten werden darf, wenn eine Beerdigung stattfindet - das weiß ich von Kollegen - und dann darf nicht die ganze Familie kommen, weil maximal zehn Personen kommen dürfen". Sie denke zudem besonders an Kinder, die nicht "in tollen Situationen aufwachsen mit Haus und Garten, sondern irgendwo eingeschlossen sind, ohne jeden Kontakt nach außen", fügte Käßmann hinzu. Diese Würde müsse bei den Diskussionen auch bedacht werden.