Berlin (epd). Die Tafeln in Deutschland warnen vor einem dramatischen Anstieg der sozialen Not durch die Corona-Krise. Aufgrund von Jobverlusten und Kurzarbeit seien schon jetzt Tausende zusätzliche Menschen auf die Versorgung mit Lebensmitteln angewiesen, mit einer weiteren Zunahme sei zu rechnen, sagte der Verbandsvorsitzende Jochen Brühl dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Menschen, die ohnehin schon von Armut betroffen sind, erleben diese Krise noch viel drastischer", betonte er. "Corona in einer Fünf-Zimmer-Wohnung am Prenzlauer Berg ist schon schwierig, aber in Duisburg oder im Essener Norden auf 50 Quadratmetern alleinerziehend mit zwei Kindern - da wird noch einmal deutlich, welche Unterschiede es gibt."
Brühl beklagte, dass die Not von Menschen am Rande der Gesellschaft in der aktuellen Debatte zu wenig berücksichtigt werde. "Natürlich müssen wir uns als solidarische Gesellschaft in der Krise über Unternehmen unterhalten, die Arbeitsplätze sichern und jetzt gefährdet sind", sagte er. "Aber auch die Abgehängten, die wir oft übersehen und vergessen, haben die Berechtigung, dass wir uns über sie Gedanken machen."
Für die mehr als 940 Tafeln mit insgesamt 1,6 Millionen Nutzern seien die Maßnahmen zur Kontaktreduzierung eine große Herausforderung, sagte Brühl. Denn hier kämen viele Menschen auf teils engem Raum zusammen, zudem gehörten rund 90 Prozent der insgesamt 60.000 ehrenamtlichen Helfer aufgrund ihres Alters oder von Vorerkrankungen zur Risikogruppe. Zwischenzeitlich seien deshalb etwa 450 Einrichtungen geschlossen gewesen. Durch eine Umstellung ihrer Arbeit konnten inzwischen aber mehr als 100 Tafeln vor allem in größeren Städten wieder öffnen, wie der Vorsitzende des Dachverbands erklärte.
So hätten Einrichtungen unter anderem Lieferdienste eingerichtet, ihre Lebensmittel-Ausgabe ins Freie verlegt oder die Kundenanzahl in den Räumlichkeiten begrenzt. "Die Tafeln haben sich schnell neu erfunden, um kontaktarm oder sogar kontaktlos zu arbeiten", sagte Brühl. Erleichtert worden sei die Wiederaufnahme des Betriebs vieler Tafeln auch dadurch, dass die Ehrenamtlichen dort derzeit von jüngeren Helfern anderer Organisationen unterstützt würden, etwa der Pfadfinder.
Auch nach einem Ende der Kontaktbeschränkungen werden die Einrichtungen aber weiter vor großen Problemen stehen, wie Brühl warnt. Etliche ältere Helfer würden vermutlich nicht mehr zu ihrem Ehrenamt zurückkehren, vielen Jüngeren werde dann wohl die Zeit fehlen. Zudem sei mit einem Rückgang sowohl der Lebensmittelspenden von Supermärkten als auch der Geldspenden von Unternehmen zu rechnen. "Ohne finanzielle Unterstützung des Staates werden die Tafeln mittelfristig Schwierigkeiten bekommen, ihre Aufgaben zu bewältigen", sagte Brühl.