Frankfurt a.M. (epd). Der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, Julian-Chaim Soussan, sieht es als religiöse Pflicht für Juden an, die staatlich verordneten Kontaktbeschränkungen und Gottesdienstverbote einzuhalten. Zum einen gebiete die Halacha die Einhaltung der staatlichen Gesetze, zum anderen sei es religiöse Pflicht, Menschenleben zu retten, erklärte Soussan im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Fast alle der 613 biblischen Ge- und Verbote müssten nach der Tora (fünf Bücher Mose) und dem Talmud außer acht gelassen werden, wenn dadurch Leben gerettet werden können.
Die jüdischen Gemeinden würden deshalb die Synagogen auch nur nach behördlicher Genehmigung und unter Einhaltung hygienischer Vorsichtsmaßnahmen wieder öffnen, bekräftigte der Rabbiner. Der Zentralrat der Juden in Deutschland habe gemeinsam mit den jüdischen Landesverbänden und großen Gemeinden ein detailliertes Hygiene- und Gesundheitskonzept für Gottesdienste entworfen. So werde empfohlen, Teilnehmerlisten zu führen, Oberflächen zu desinfizieren, den Mund-Nasen-Schutz zu nutzen und einen Abstand zwischen den Teilnehmern von jeweils zwei Metern einzuhalten.
Das religiöse Leben der jüdischen Gemeinde spiele sich nun vor allem über das Internet ab, erklärte Soussan. Die beiden Frankfurter Rabbiner hielten Vorträge über Videokonferenzen, an denen Interessierte teilnehmen könnten, und veröffentlichten diese anschließend in sozialen Medien. Auch die Gottesdienste vor Beginn und nach Ende des Sabbats, am Freitagnachmittag und Samstagabend, fänden per Videokonferenz statt. Religionsunterricht für Schüler gebe es per E-Mail und Videos. Seelsorge praktizierten die Rabbiner vor allem durch das Telefon oder per WhatsApp. Rund 60 Freiwillige unterstützten die Sozialabteilung und böten praktische Hilfe an, etwa zum Einkaufen.
Die Kontaktbeschränkungen machten aber Teile des religiösen Lebens unmöglich, erklärte Soussan. So falle die öffentliche Tora-Lesung im Gottesdienst weg, die nur in der leibhaftigen Versammlung, nicht aber online stattfinden dürfe. Auch das Totengebet (Kaddisch), das nach dem Tod eines Angehörigen elf Monate lang gesprochen werden solle, dürfe nicht online gebetet werden. Dies fehle religiösen Menschen.
Die Coronakrise könne aber auch positive Wirkungen haben, sagte der Rabbiner. "Jetzt liegt der Fokus auf den wichtigen Dingen: Zeit für Familie und Freunde zu haben", sagte Soussan. Auch gebe die Krise einen Anstoß, darüber nachzudenken, wie die Natur sich erholt und wie das Verhältnis der Völker untereinander ist.