Darmstadt (epd). Das durch die Corona-Krise erzwungene Fernbleiben vom Arbeitsplatz führt nach einer laufenden Studie zu mehr psychischen Problemen. "Die Entwicklung ist alarmierend", sagte die Darmstädter Betriebswirtschaftlerin und Psychologin Ruth Stock-Homburg dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie ist die Leiterin der Längsschnittstudie "COFIT4U (Corona-Fitness-for-you) - Mit mentaler Fitness stark in der Krise". Mit zunehmender Dauer von Homeoffice oder Zwangsurlaub wachse der Anteil der befragten Arbeitnehmer stark, denen es nach eigener Empfindung schlechtgehe.
Die Professorin an der Technischen Universität hat kurz nach Beginn der behördlich angeordneten Kontaktbeschränkungen begonnen, die an der Studie teilnehmenden Büroangestellten wöchentlich online zu befragen. An der ersten Befragung am 25. März nahmen bundesweit rund 180 Personen aller Altersgruppen teil, an der zweiten am 1. April bereits mehr als 250. Viele der abgefragten Faktoren hätten sich innerhalb der einen Woche deutlich verschlechtert, sagte Stock-Homburg. So sei die Unzufriedenheit mit dem Job von einem Viertel auf ein Drittel der Befragten gestiegen.
Zwar gehen nach laut Stock-Homburg im Homeoffice die Faktoren für einen Burn-out zurück, aber dafür nehme das Phänomen des "Bore-outs" zu. "Bore-out bedeutet, dass bei Büroarbeitern Langeweile, abnehmende Lernmöglichkeiten und eine Sinnkrise im Job zusammenkommen." Langeweile im Beruf und fehlende eigene Weiterentwicklung hätten bei der ersten Befragung ein Viertel der Teilnehmer angegeben, bei der zweiten schon ein Drittel. Diejenigen, die ihre Arbeit sinnlos finden, machten zunächst zehn Prozent aus, nach einer Woche 16 Prozent.
Die Folge von "Bore-out" können nach Aussage der Wissenschaftlerin Depressionen und Angststörungen sein. Auch das Herz-Kreislauf- und Immunsystem werde geschwächt. Allerdings könnten die Symptome bei einer Veränderung der persönlichen Situation im Gegensatz zum Burn-out innerhalb von Tagen oder Wochen verschwinden, die Therapie von Folgeerkrankungen brauche allerdings ebenfalls Jahre.
"Im Homeoffice haben die Menschen mehr Zeit zum Grübeln und weniger Bewegung", sagte Stock-Homburg. Dies steigere Angstgefühle und Stress. So habe bei der Befragung das Stressempfinden der Arbeitnehmer zu Hause innerhalb von sieben Tagen von 30 auf 35 Prozent zugenommen, der Anteil derjenigen mit mittlerem und schlechtem Schlaf von 50 auf 70 Prozent. Angst um den Arbeitsplatz hätten zunächst 13 Prozent, danach 20 Prozent der Befragten geäußert.
Von beruflicher Langeweile, abnehmender Konzentrationsfähigkeit und wachsender Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung zu Hause werde auch das Freizeitverhalten beeinflusst, sagte die Professorin. Die Menschen würden insgesamt inaktiver und hätten das Gefühl größerer Erschöpfung.
"Im Moment sehe ich noch keine allgemeine Gefahr", sagte Stock-Homburg. "Aber wenn die Arbeitnehmer länger zu Hause bleiben müssen, sehe ich eine starke Gefahr für die psychische Gesundheit." Wenn die Tendenz der Studie sich so weiter entwickele wie am Anfang, könnte die Situation in vier Wochen kippen, indem die befragten Arbeitnehmer ihre Arbeits- und Lebenssituation dann mehr negativ als positiv empfinden könnten.