Gütersloh, Berlin (epd). Teilzeitbeschäftigung und längere Auszeiten durch unbezahlte familiäre Sorgearbeit werfen Frauen beim Lohn laut einer aktuellen Studie wohl weiter zurück als bislang angenommen. Auf das gesamte Erwerbsleben gerechnet, kommen weibliche Beschäftigte nur auf etwas mehr als die Hälfte der Erwerbseinkommen der Männer, wie eine am Dienstag veröffentlichte Untersuchung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ergab.
Auf Grundlage von Zahlen aus dem Jahr 2015 hätten Frauen in Westdeutschland ein erwartetes durchschnittliches Lebenserwerbseinkommen von rund 830.000 Euro, hieß es. Männer könnten hingegen durchschnittlich mit rund 1,5 Millionen Euro rechnen. Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) bezeichnete das Ergebnis der Studie als "unerhört" und mahnte einen Kulturwandel in Unternehmen und Gesellschaft zur Gleichstellung der Geschlechter an.
In Ostdeutschland fallen die Lebenserwerbseinkommen demnach insgesamt geringer aus als in den alten Bundesländern. Die Lücke in den Lebenseinkommen, der sogenannte Gender Lifetime Earnings Gap, betrage damit für die Jahrgänge der heute Mitte 30-Jährigen 45 Prozent in Westdeutschland und 40 Prozent in Ostdeutschland. Akademikerinnen könnten immerhin ein ähnliches Lebenserwerbseinkommen wie mittelqualifizierte Männer erwarten und holten damit etwas auf, hieß es.
Rund die Hälfte der Lücke zwischen Frauen und Männern liegt der Studie zufolge an der höheren Teilzeitbeschäftigung sowie den Auszeiten vom Arbeitsmarkt bei Frauen. Eine wesentliche Rolle spielten dabei Kinderbetreuung und die Pflege Angehöriger. Teilzeit ist laut Untersuchung für Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren die hauptsächliche Erwerbsform. Männer hingegen arbeiteten in dieser Phase mehrheitlich in Vollzeit.
Die Arbeitsmarktexpertin der Bertelsmann Stiftung, Manuela Bariši?, kritisierte: "Die Unterschiede in den Lebenserwerbseinkommen zeigen, dass in Deutschland Chancen und Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt zwischen Männern und Frauen sehr ungleich verteilt sind." Dabei hätten insbesondere Mütter das Nachsehen. So liege bei westdeutschen erwerbstätigen Frauen im Alter von 30 Jahren, die keine Kinder haben, die geschlechtsspezifische Einkommenslücke bei 13 Prozent, in den neuen Bundesländern bei nur drei Prozent. Dieser relativ geringe Abstand in Ostdeutschland kann den Autoren der Studie zufolge durch das vergleichsweise geringe Einkommen von Männern in dem Alter erklärt werden.
Ministerin Giffey sagte: "Es ist unerhört, dass wir im 21. Jahrhundert noch über solche Unterschiede zwischen Männern und Frauen diskutieren müssen." Ohne einen Kulturwandel in den Unternehmen und gesetzliche Vorgaben "kommen wir in Sachen Chancengerechtigkeit und Gleichberechtigung nicht voran, und wenn, dann nur im Schneckentempo", erklärte die Ministerin.
Maria Loheide vom Vorstand der Diakonie Deutschland sprach von einer Gerechtigkeitslücke. Die entstehe vor allem dadurch, dass Frauen nach wie vor überwiegend die unbezahlte Arbeit in der Familie leisten. "Pflege ist gesellschaftlich so notwendig wie Kindererziehung", betonte sie und forderte die gleichberechtigte Aufteilung der Familien- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern sowie eine finanzielle Anerkennung dieser Arbeit.
Für die Studie berechneten Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Freien Universität Berlin die durchschnittlichen Lebenserwerbseinkommen vor Steuern, Abgaben und staatlichen Leistungen für das 20. bis 60. Lebensjahr. Datenbasis war das Sozio-oekonomische Panel.