Der Bonner Pfarrer Oliver Ploch hat in den vergangenen zwölf Jahren seiner Dienstzeit zwei schwule Paare in einem Gottesdienst gesegnet - und das als offen schwul lebender Pfarrer in einer deutschen Großstadt, noch dazu im Rheinland, wie er selbst sagt. Seine Landeskirche, die Evangelische Kirche im Rheinland, hat die gottesdienstliche Begleitung von Paaren gleichen Geschlechts bereits im Jahr 2000 eingeführt, also noch vor der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft.
Obwohl gleichgeschlechtliche Paare nicht nur standesamtlich heiraten können, sondern sich in den meisten evangelischen Gemeinden in Deutschland auch trauen lassen können, treten nur sehr wenige tatsächlich vor den Altar. Die Zivilehe für Schwule und Lesben hat auch den Umgang vieler evangelischer Landeskirchen in Deutschland mit gleichgeschlechtlichen Paaren verändert. Im vergangenen Jahr wurde gleich in sechs Landeskirchen auch die Trauung für alle eingeführt, unter anderem in der mitgliederstärksten Landeskirche Hannover.
2017 wurde die "Ehe für alle" im Bundestag beschlossen. Etwa 33.000 Paare gaben sich zwischen dem 1. Oktober 2017 und Ende 2018 nach Angaben des Statistischen Bundesamts das Ja-Wort oder ließen ihre eingetragene Lebenspartnerschaft in eine Ehe umwandeln. Ein vergleichbarer Anstieg bei kirchlichen Trauungen blieb aber aus. Das ergab eine Umfrage des Evangelischen Pressedienst (epd) unter den 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Nur sieben Landeskirchen haben überhaupt Zahlen über gleichgeschlechtliche Trauungen und Segnungen erhoben. Aber diese lassen einen Trend erkennen: In der badischen Landeskirche, wo es die Trauung für gleichgeschlechtliche Paare seit 2016 gibt, ließen sich demnach jährlich zwischen 20 und 30 Paaren trauen. Damit liegt ihr Anteil bei unter einem Prozent.
Unterschiedliche Regelungen in Landeskirchen
In der Evangelischen Kirche von Westfalen, wo die Trauung für alle seit Januar gilt, ließen sich 27 Paare im Jahr 2018 segnen, 2017 waren es 25. In Hessen-Nassau können Paare gleichen Geschlechts seit 2013 kirchlich heiraten. Davon machten 218 Paare bis Ende 2017 Gebrauch. Im gleichen Zeitraum gab es dort rund 19.000 Trauungen heterosexueller Paare. Damit lag der Anteil gleichgeschlechtlicher Trauungen bei knapp über einem Prozent.
Die 20 evangelischen Landeskirchen regeln die Trauung und Segnung gleichgeschlechtlicher Paare unterschiedlich. In 14 Landeskirchen ist die Segnung der Trauung mittlerweile gleichgestellt. In der zweitkleinsten Landeskirche, Schaumburg-Lippe, ist eine Segnung bislang nur in privatem Rahmen, aber nicht in einem Gottesdienst möglich. Im Herbst soll dort das Kirchenparlament über eine mögliche Änderung beraten. Die meisten Landeskirchen erheben die Zahl der Trauungen und Segnungen nicht gesondert in ihrer kirchlichen Statistik. Entweder weil sie Segnungen nicht als Amtshandlungen zählen, oder weil sie nicht zwischen den Trauungen unterscheiden.
Dass nur wenige Paare den Schritt vor den Traualter machen, hat laut Pfarrer Ploch drei Gründe: Als erstes nennt er die zunehmende Säkularisierung, von der auch Schwule und Lesben betroffen seien. Die Zahl kirchlicher Trauungen habe in den vergangenen Jahren abgenommen. Zum zweiten hätten viele Schwule und Lesben schlechte Erfahrungen mit der Kirche gemacht. Sie seien in der Vergangenheit ausgegrenzt und diskriminiert worden. Und drittens gebe es unter der älteren Generation von Schwulen und Lesben auch eine Ablehnung "heteronormativer Ideale" wie der Ehe.
"Kirchen haben ein Problem mit dem Selbst-Marketing"
Die Studierendenpfarrerin Kerstin Söderblom aus Mainz kennt noch zwei weitere Gründe: Dass nur so wenige Schwule und Lesben sich trauen lassen, sei auch auf ein Problem der Kirchen mit dem Selbst-Marketing zurückzuführen. "Es sind oft die Negativbeispiele in den Medien", sagt sie. So sei über die Schwierigkeiten der württembergischen Landeskirche, eine Regelung zu finden, lang und breit berichtet worden. Positive Beispiele wie die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau würden kaum erwähnt.
Ein weiteres Problem kennt Kerstin Söderblom aus der Seelsorge. Sie trifft in ihrer Arbeit immer wieder Lesben und Schwule aus frommen und evangelikal geprägten Milieus, die Homosexualität ablehnen und als sündig oder pervers diskriminieren. Gerade die jüngeren Frommen und kirchlich Hochverbundenen suchten nach Segen und Zuspruch, würden aber in ihren Gemeinden oft enttäuscht. "Wer einmal so eine Erfahrung gemacht hat, geht nicht einfach in die nächste evangelische Gemeinde", sagt sie.
Das größte Hemmnis besteht für Oliver Ploch aber darin: "Heutzutage ist es leichter zu sagen, schwul zu sein als evangelisch oder Christ", sagt er. Kirchlich zu heiraten sei bis heute ein Bekenntnis, zu dem offenbar nur eine Minderheit in der schwul-lesbischen Community bereit sei - ebenso wie in der übrigen Gesellschaft.