Karlsruhe (epd). Bei Anhaltspunkten für eine drohende politische Verfolgung dürfen deutsche Gerichte nicht einfach einen mutmaßlichen ausländischen Straftäter an sein Heimatland ausliefern. Die Gerichte müssen vielmehr eigenständig eine mögliche Verfolgung prüfen und dürfen nicht allein auf Versprechen des ausländischen Staates vertrauen, völkerrechtliche Standards einhalten zu wollen, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss. Die Karlsruher Richter stoppten damit die Auslieferung eines Kurden an die Türkei. (AZ: 2 BvR 1832/19)
Der Mann wurde im Januar 2019 in Deutschland festgenommen. Die Türkei hatte den Mann wegen eines angeblichen Tötungsdeliktes zur Festnahme ausgeschrieben.
In dem anschließenden Auslieferungsverfahren hatte der Kurde vorgetragen, dass die Vorwürfe der türkischen Behörden konstruiert seien und er vielmehr wegen seiner Tätigkeit für linke Organisationen politisch verfolgt werde. In der Vergangenheit sei er mehrmals verhaftet und gefoltert worden. Trotz widersprüchlicher Ermittlungsergebnisse im aktuellen Strafverfahren habe die Türkei seinem Verteidiger die Einsicht in die als "geheim" eingestuften Ermittlungsakten und in die angeblichen Videoaufnahmen verwehrt.
Gegen eine Auslieferung spreche zudem die Situation in den türkischen Gefängnissen und der willkürlichen Festnahmen von Oppositionellen, trug der Mann vor. Nachdem die türkischen Behörden zusicherten, dass der Kurde entsprechend den völkerrechtlichen Standards behandelt wird, hatte das Oberlandesgericht (OLG) Hamm gegen die Auslieferung keine Einwände.
Doch deutsche Gerichte müssten bei konkreten Anhaltspunkten für eine drohende politische Verfolgung selbst den Sachverhalt prüfen und sich nicht allein auf die Zusagen der Türkei verlassen, entschied das Bundesverfassungsgericht. Der Beschwerdeführer sei in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt worden. Er habe detailliert vorgetragen, warum er als Oppositioneller verfolgt werde. Auch Hinweise zu menschenunwürdigen Haftbedingungen seien angeführt worden, ohne dass das OLG dem ausreichend nachgegangen sei.
Auch könnte die dem Verteidiger verweigerte vollständige Akteneinsicht ein Auslieferungshindernis darstellen. Denn dies gehöre zu den einzuhaltenden Mindeststandards in einem Strafverfahren.