Hamburg (epd). Ein detailliertes Gutachten soll im Prozess gegen den ehemaligen SS-Wachmann Bruno D. vor dem Hamburger Landgericht die Antwort auf eine zentrale Frage bringen. Durch präzise Aufschlüsselung der Organisation und Struktur im KZ Stutthof (bei Danzig) ab 1942 soll ermittelt werden, ob der Angeklagte als 17-Jähriger die Möglichkeit hatte, sich vom Wachturm versetzen zu lassen - ohne deswegen lebensbedrohliche Konsequenzen zu fürchten, wie dieser stets beteuert hatte.
Der Historiker Stefan Hördler sprach am Montag als Sachverständiger vor dem Landgericht. Vorweg hatte D.s Anwalt Stefan Waterkamp beantragt, Hördler wegen Befangenheit abzulehnen. Das vorläufige Gutachten lag den Prozessbeteiligten bereits vor. Hördler hat Waterkamp zufolge in seinem Gutachten mehrfach Annahmen als Tatsachen dargestellt. Das Gericht werde darüber in zwei Wochen entscheiden, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring. Daraufhin begann Hördler mit dem Vortrag seines Gutachtens.
Der Historiker, der die KZ-Gedenkstätte Stutthof bereits mehrfach besucht hat, beschrieb den Aufbau und das Verhältnis zwischen Kommandaturstab und Wachmannschaften. Außerdem legte er die Zusammenhänge zwischen Wehrmachtssoldaten und der SS dar und beschrieb, wie die SS neue Mitglieder rekrutierte. D. hatte wiederholt gesagt, dass er "zum SS-Wachmann gemacht wurde", ohne eine Wahl gehabt zu haben.
Auch zu den Recherchen des "Spiegels" nahm die Kammer vorerst keine Stellung. Das Magazin hatte Ende Dezember berichtet, dass die Angaben des Nebenklägers Moshe Peter Loth im November nicht richtig gewesen sein könnten. Demnach sei seine Großmutter keine Jüdin gewesen und er auch nicht als Säugling gemeinsam mit seiner Mutter im KZ Stutthof interniert gewesen. Loth hatte berichtet, dass er sein Leben lang nach seiner Identität gesucht und diese Sachverhalte recherchiert habe.
D. wird Beihilfe zum Mord in mehr als 5.230 Fällen vorgeworfen. Er war zwischen August 1944 und April 1945 im Konzentrationslager Stutthof (bei Danzig) als 17-Jähriger als Wachmann tätig. D. sieht keine Schuld bei sich, da er seiner Aussage nach zum Dienst in Stutthof gezwungen worden sei. D. will von vielen in dem Lager geschehenen Grausamkeiten nichts gewusst haben.