Genf (epd). Die Vereinten Nationen machen Polizei und Armee in Chile für schwere Menschenrechtsverstöße während der jüngsten Proteste verantwortlich. Eine Untersuchung von Experten des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in dem südamerikanischen Land habe alleine 113 Fälle von Folter und Misshandlungen sowie 24 Fälle von sexueller Gewalt gegen Frauen, Männer und Jugendliche durch die Sicherheitskräfte dokumentiert, erklärte die Leiterin der Untersuchung, Imma Guerras-Delgado, am Freitag in Genf. Auch seien mindestens vier der 26 Todesfälle direkt den Sicherheitskräften anzulasten.
Guerras-Delgado warf den Sicherheitskräften vor, Gummigeschosse und Tränengas nicht sachgemäß eingesetzt zu haben. Dafür spreche die ungewöhnlich hohe Zahl von mindestens 345 Augenverletzungen. Einige Opfern seien erblindet. Insgesamt schwankt die angegebene Zahl der Verletzten zwischen 3.500 und 12.000. Mehr als 28.000 Demonstranten seien verhaftet worden, von ihnen seien noch mehr als 1.600 in Haft. Viele Häftlinge seien im Gefängnis nach eigenen Angaben schwer misshandelt worden, sagte Guerras-Delgado. So gebe es Berichte von Scheinhinrichtungen, sexuellen Misshandlungen und angedrohten Verschleppungen.
Die Kommission wirft den Sicherheitskräften weiter vor, Menschenrechtler, Journalisten und Ärzte bei ihrer Arbeit behindert zu haben. Zudem hätten Polizei und Armee bei ihrem Vorgehen gegen Demonstranten Unbeteiligte verletzt. Die Untersuchungen hätten auch bestätigt, dass Gewalttäter die Polizei und ihre Reviere angegriffen und Häuser geplündert hätten, sagte Guerras-Delgado. Sie rief die chilenische Regierung auf, umgehend Konsequenzen aus dem Bericht zu ziehen. Das sei umso wichtiger, als die Demonstrationen anhielten.
Nötig seien neben einer umfassenden und unabhängigen strafrechtlichen Aufarbeitung auch strukturelle Reformen bei der Polizei, fügte Guerras-Delgado hinzu. So müssten deren Einsätze von unabhängigen zivilen Stellen überwacht werden. Polizisten müssten zudem identifizierbar sein und in gewaltlosen Techniken ausgebildet werden.
Ein Team des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte hatte auf Einladung der chilenischen Regierung die ersten drei Novemberwochen in Chile verbracht und nach eigenen Angaben mehr als 350 Interviews mit mutmaßlichen Opfern, Menschenrechtlern und Sicherheitskräften im ganzen Land geführt.