Frankfurt a.M., Den Haag (epd). In einer zweiten und vorläufig letzten Runde von Anhörungen vor dem Internationalen Gerichtshof im niederländischen Den Haag hat Gambia seinen Völkermord-Vorwurf gegen Myanmar bekräftigt. Das westafrikanische Land forderte am Donnerstag erneut, das höchste UN-Gericht müsse Myanmar "einstweilige Maßnahmen" auferlegen, um systematische Gräuel an der muslimischen Rohingya-Minderheit zu unterbinden. Auffällig sei, dass Myanmar nicht bestritten habe, dass 392 Rohingya-Dörfer im Bundesstaat Rakhine teilweise oder ganz zerstört worden seien, erklärten internationale Rechtsexperten, die zur Unterstützung Gambias auftraten. Zugleich hätten die Vertreter Myanmars, allen voran De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi, kein Wort über das Ausmaß sexueller Gewalt gegen Rohingya-Frauen und -Mädchen verloren.
Hingegen appellierte Suu Kyi an die Richter, die Forderung Gambias fallenzulassen. Es gebe anhaltende Bemühungen, für Frieden und Entwicklung in Rakhine zu sorgen, sagte sie am Donnerstag in einer abschließenden Erklärung. Zugleich verwies die Friedensnobelpreisträgerin darauf, dass Myanmar sein eigenes Justizsystem habe, um Verantwortliche strafrechtlich zu belangen.
Einer der Juristen aufseiten Gambias, der US-Anwalt Paul Reichler, bezeichnete das als unglaubwürdig: "Wie kann man erwarten, dass sich Myanmars Militärs selbst zur Rechenschaft ziehen, wenn ihre obersten Befehlshaber, darunter Armeechef Min Aung Hlaing, von den UN des Völkermordes beschuldigt werden, aber dennoch Straflosigkeit genießen?"
Nachdem die Rohingya-Miliz Arsa im Oktober 2016 und August 2017 Polizei- und Armeeposten in Rakhine überfallen hatte, nutzte Myanmars Armee die Angriffe, um unter dem Vorwand eines Anti-Terror-Kampfes gegen die gesamte Rohingya-Volksgruppe vorzugehen. Seit 2017 flohen mehr als 740.000 Rohingya ins benachbarte Bangladesch. Recherchen von Menschenrechtlern belegten, dass es bereits zuvor Morde, Vergewaltigungen und Brandanschläge durch Soldaten gegeben habe. Auch UN-Ermittler werfen Myanmars Militär Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Die zivile Regierung unter Suu Kyi gilt als mitschuldig, weil sie die Brutalität der Streitkräfte wiederholt verteidigt oder heruntergespielt hatte.
Die Klage Gambias stützt sich wesentlich auf einen Untersuchungsbericht der Vereinten Nationen von 2018. Wann der Internationale Gerichtshof ein Urteil fällen wird, steht noch nicht fest.