Karlsruhe (epd). Nur mit einer ausreichenden Anzahl an Mitgliedern sind Gewerkschaften tariffähig. Diese, von den Arbeitsgerichten entwickelten Anforderungen zur Tariffähigkeit, verstoßen nicht gegen die im Grundgesetz geschützte Koalitionsfreiheit, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss zur "Neuen Assekuranz Gewerkschaft" (NAG) (AZ: 1 BvR 1/16).
Die im November 2010 in Gießen gegründete Gewerkschaft vertritt Beschäftigte der Versicherungsbranche. Über die Anzahl ihrer Mitglieder hüllte sich die Gewerkschaft in Schweigen.
Die konkurrierende DGB-Gewerkschaft ver.di hielt die NAG wegen fehlender "Mächtigkeit" für nicht tariffähig. Sie dürfe daher mit Arbeitgebern keine Tarifverträge abschließen.
Das als erste Instanz zuständige Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hatte auf Antrag von ver.di die NAG für nicht tariffähig erklärt. Wegen der unbekannten Mitgliederzahl müsse davon ausgegangen werden, dass die NAG keine durchsetzungsfähigen Tarifforderungen aufstellen könne. Das Bundesarbeitsgericht lehnte die dagegen eingelegte Beschwerde ebenfalls ab.
Vor dem Bundesverfassungsgericht hatte die NAG nun ebenfalls keinen Erfolg. Zwar regele weder das Grundgesetz noch das Tarifvertragsgesetz ausdrücklich, "wann eine Arbeitnehmerkoalition als Gewerkschaft anzusehen ist" und Tarifverträge erstreiten darf. Es sei aber mit der im Grundgesetz enthaltenen Koalitionsfreiheit vereinbar, dass die Arbeitsgerichte als Voraussetzung von tariffähigen Gewerkschaften eine ausreichende Mitgliederzahl verlangen. "Ohne eine gewisse Geschlossenheit der Organisation und Durchsetzungskraft wäre eine Arbeitnehmervereinigung vom guten Willen der Arbeitgeberseite und anderer Arbeitnehmerkoalitionen abhängig und könnte den Aufgaben der Tarifautonomie nicht gerecht werden", erklärten die Verfassungsrichter.
Hier habe das LAG annehmen dürfen, dass die NAG nur einen Organisationsgrad von 0,05 Prozent aufweise und damit keine ausreichende Durchsetzungsfähigkeit bestehe.