Religionssoziologe sieht politisches Engagement der Kirche kritisch

Der Religions- und Kultursoziologe Professor Detlef Pollack aus Münster
© epd-bild/Norbert Neetz
Der Religions- und Kultursoziologe Professor Detlef Pollack sieht fehlende Berührungspunkte im Alltag als wesentlichen Grund für Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche.
Religionssoziologe sieht politisches Engagement der Kirche kritisch
19.11.2019
epd
epd-Gespräch: Holger Spierig

Münster (epd). Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack ist skeptisch in Bezug auf politisches Engagement der Kirche. "Kirche muss für alle da sein", sagte Pollack dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Unterschied zu den politischen Parteien habe sie nicht die Aufgabe, die Demokratie zu verteidigen, wenn sie angegriffen wird, sondern müsse den Menschen in allen ihren Lebenslagen beistehen. "Eine klare politische Positionierung der Kirche oder der Pfarrer kann sich, auch wenn man damit kurzfristig Menschen zu überzeugen vermag, langfristig nur negativ auf die Verkündigung der Botschaft auswirken", sagte Pollack.

In modernen Gesellschaften legten Menschen verstärkt Wert darauf, ihre Lebensentscheidungen autonom zu fällen, betonte Pollack. Das gelte auch für das Verhältnis vieler Menschen zur Religion: Sie wollten nicht, dass Kirchen über ihren Glauben Macht ausübten. "Der Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben gehört zum Selbstverständnis der Menschen in der Moderne, auch wenn sie sich in ihrer Praxis natürlich von vielen äußeren Umständen beeinflussen lassen, auch von der Kirche", sagte Pollack. Bei einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der Evangelischen Kirche von Westfalen hatten zwar 70 Prozent der Befragten angegeben, dass ihnen der Glaube wichtig sei. Zugleich sagten aber 60 Prozent, sie könnten den Glauben ohne Kirche leben.

Pollack sieht fehlende Berührungspunkte im Alltag als wesentlichen Grund für Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche. Glaubensbezüge würden nicht mehr das ganze Leben durchdringen und etwa die Kindererziehung, die politischen Einstellungen oder den eigenen Lebensstil prägen. Begegnungen gebe es nur noch gelegentlich in Krisensituationen, bei der Geburt eines Kindes oder zu Weihnachten.

Kirchen können nach Einschätzung Pollacks attraktiver werden, indem sie selbst Gelegenheiten zum Kontakt schafften. Als Beispiele nannte er soziales Engagement, Diakonie, Bildungsarbeit und Präsenz im öffentlichen Raum. "Insbesondere die Kinder- und Jugendarbeit ist zentral, denn von den religiösen Erfahrungen im Kindes- und Jugendalter hängt in starkem Maße ab, ob man später als Erwachsener eine Beziehung zum Glauben und zur Kirche aufbaut", erläuterte der Forscher der Universität Münster.