Tunis (epd). Rund sieben Millionen Tunesier sind am Sonntag aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu bestimmen. Unter den 26 Kandidaten und Kandidatinnen gibt es keine klaren Favoriten, so dass eine Stichwahl wahrscheinlich ist. Die Abstimmung wurde nach dem Tod von Präsident Béji Caïd Essebsi im Juli vorgezogen. Sie hätte planmäßig im November stattgefunden.
Für das Amt des Staatschefs bewerben sich unter anderen der derzeitige Premierminister Youssef Chahed von der Partei Tahya Tounes (Es lebe Tunesien) und der parteilose Verteidigungsminister Abdelkrim Zbidi. Die muslimisch-konservative Ennahdha-Partei schickt mit dem 71-jährigen Abdelfattah Mourou einen ihrer Gründerväter ins Rennen.
Als einzige Frau kann sich die Anwältin Abir Moussi Hoffnungen auf einen Einzug in die zweite Runde machen. Die Anhängerin des 2011 gestürzten Autokraten Zine El Abidine Ben Ali fordert die Rückkehr zu einem Präsidialsystem und will den Einfluss muslimischer Kräfte im Land massiv einschränken.
Der Medienmogul Nabil Karoui wurde kurz vor Beginn des Wahlkampfes wegen eines laufenden Ermittlungsverfahrens wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung verhaftet. Am Donnerstag trat er im Gefängnis in Hungerstreik. Einer seiner Verteidiger erklärte via Facebook, dass Karoui auf sein Recht bestehe, am Sonntag wählen zu gehen, wie tunesische Medien berichteten. Karouis Kandidatur bleibt gültig, solange er nicht rechtskräftig verurteilt wurde. Auch der millionenschwere Geschäftsmann Slim Riahi bleibt auf der Kandidatenliste, obwohl er sich wegen eines ausstehenden Haftbefehls ebenfalls wegen Geldwäsche im Ausland aufhält.
Tunesien gilt als einziges Land, das nach den Umbrüchen des Arabischen Frühlings 2011 eine demokratische Entwicklung genommen hat. Die 2014 verabschiedete Verfassung sieht ein semi-präsidentielles System vor. Die Aufgaben des Präsidenten sind überschaubar, dennoch erhält diese Wahl deutlich mehr Aufmerksamkeit als die Parlamentswahlen, die am 6. Oktober stattfinden. Die Stichwahl für das Präsidentenamt wird voraussichtlich zwischen Ende September und Mitte Oktober stattfinden, je nachdem, ob gegen die Ergebnisse des ersten Wahlgangs Einsprüche eingereicht werden oder nicht.
Seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich 1956 wurde der nordafrikanische Staat zunächst von zwei autoritären Machthabern regiert. Autokrat Ben Ali floh im Januar 2011 nach heftigen Protesten gegen seine Regierung aus dem Land. Seitdem wurden eine Reihe demokratischer Reformen umgesetzt. Das Land mit elf Millionen Einwohnern leidet jedoch unter einer Wirtschaftskrise mit hohen Inflationsraten und einem hohen Haushaltsdefizit.