Waffen werden zu Glocken

Waffen werden zu Glocken
Mannheimer Kunsthalle zeigt Werke von Hector-Preisträger Hiwa K
Weicher Teppich, warmer Glockenklang: Die multimedialen Installationen von Hiwa K wirken einladend, sind aber politisch spannungsreich. Eine Ausstellung in Mannheim widmet sich dem Künstler, der am Donnerstag den Hector-Kunstpreis erhält.
03.07.2019
epd
Von Christine Süß-Demuth (epd)

Mannheim (epd). Er macht Waffen zu Glocken: Der in Berlin lebende kurdische Künstler Hiwa K ist bekannt für seine gesellschafts- und politikkritischen Installationen. Ein Beispiel dafür ist sein "Bell Project", das jetzt in der Kunsthalle Mannheim zu sehen ist. Dafür hatte er Bronze von einem kurdischen Munitionssammler erworben, der Metall aus alten Waffen und anderen militärischen Abfallprodukten des Iran-Irak-Krieges (1980-1988) und der beiden Golfkriege (1991 und 2003) einschmilzt. Aus insgesamt 300 Kilogramm Bronze ließ der Künstler eine Glocke formen, deren tiefer Klang durch die Ausstellung vibriert und lange nachklingt.

Hiwa K will den umgekehrten Weg der Kriegszeiten gehen, als in Europa Kirchenglocken für Munition eingeschmolzen wurden. Er lasse einen Raum des Schweigens und des Nachdenkens darüber entstehen, wie viele Menschenleben die eingeschmolzenen Waffen gekostet haben, sagt der Künstler, der sich selbst als nicht-religiös bezeichnet.

In Mannheim wird der Installationskünstler mit einer Sonderausstellung und dem mit 20.000 Euro dotierten Hector-Kunstpreis 2019 der Kunsthalle Mannheim und der Hector-Stiftung geehrt. Die Schau wird am Donnerstagabend mit der Preisverleihung eröffnet und ist bis 1. September zu sehen. Der aus dem kurdischen Teil des Irak stammende Künstler habe mit seinem umfangreichen Werk "einen elementaren Beitrag zum interkulturellen Verständnis zwischen der arabischen, kurdischen und europäischen Lebenswelt geleistet", begründete die Kunsthalle die Würdigung.

Zentrales Thema des multimedial arbeitenden Künstlers, der seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebt, seien "Krieg und Konflikte", erläuterte Kurator Sebastian Baden am Mittwoch. Leitmotiv dafür sei die Melodie des Films "Spiel mir das Lied vom Tod". Zu sehen und hören ist das etwa bei der Installation "This Lemon Tastes of Apple" (2011), einem Film über einen zivilgesellschaftlichen Protest in seiner Heimatstadt Sulaimaniyya, der mit Tränengas niedergeschlagen wurde.

Über soziale Medien rief der Künstler die Menschen in seiner Heimatstadt dazu auf, auf subtile Art das dortige Versammlungsverbot zu umgehen, indem sich alle lesend auf einen Platz setzen. Langsam packten sie Lupen aus und begannen, damit Löcher in die Buchseiten zu brennen. Auch diese gewagte Aktion wird thematisiert.

Geboren wurde Hiwa K 1975 im kurdischen Teil des Irak, wo er Malerei studierte und sich mit europäischer Literatur, Philosophie und Musik beschäftigte. Mitte der 90er Jahre floh er über die Türkei nach Deutschland, wo er zunächst als Flamenco-Schüler bei Paco Peña lernte. Ab 2005 studierte er an der Kunstakademie in Mainz - mit gefälschter Bewerbungsmappe. Als Gast studierte er auch an der Städelschule in Frankfurt.

Hiwa K stelle Fragen der Zugehörigkeit und thematisiere "Heimat, Identität und Macht", erläutert Kurator Baden. Seine Arbeiten, die unter anderem auf der documenta in Kassel und bei der Biennale von Venedig zu sehen waren, seien vielschichtig, emotional aufgeladen und politisch spannungsreich. Der Künstler wolle die Wahrnehmung der Besucher ändern, etwa indem der Ausstellungsrundgang entgegen dem Uhrzeigersinn angelegt ist.

Das spiegelt sich auch in seinem neuesten Kunstwerk "Alchemy of Love (Mannheim)" wieder. Auf einem graugrünen, 64 Quadratmeter großen Teppich sind orangerote Linien zu erkennen. Barfuß dürfen die Besucher den flauschig weichen Teppich betreten, der in starkem Kontrast steht zu dem aufgedruckten Motiv: einer kolorierten Luftaufnahme der 1943 zerstörten Mannheimer Quadratestadt. Die bunten Linien zeichnen die Routen des Kampfmittelräumdienstes nach. Künstler und Kunsthalle wollen den Teppich zu einem Raum der Begegnung und Körpererfahrung machen und die Besucher zu meditativen und tänzerischen Bewegungen anregen.