Rote, mit Helium gefüllte Herzluftballons weisen den Besucherinnen und Besuchern den Weg zum Eingang der Waideshalle im Fuldaer Esperanto. Ein kurzer Security-Check und dann beginnt auch schon der rote Teppich. Rechts und links davon stehen jubelnde Jugendliche mit Schildern und Transparenten. Für jede und jeden, der an ihnen vorbeigeht, machen sie Lärm, klatschen, pfeifen – an diesem Abend darf sich jeder einmal wie eine VIP (Very Important Person) fühlen.
Dieser besondere Empfang ist Teil des Konzepts des B.A.S.E.-Jugendgottesdienstes des überkonfessionellen Netzwerkes "All for One". "Wir wollen den Menschen, die zu uns zum Gottesdienst kommen, zeigen, dass sie etwas ganz Besonderes sind. Dass sie wichtig sind", erklärte "All for One"-Mitbegründer Björn Hirsch bereits im Vorfeld bei der Fresh X Jahrestagung, als er das Projekt vorstellte. Seit 2016 stellen die Ehrenamtlichen bei "All for One" die Gemeinsamkeiten und die Einheit des christlichen Glaubens in den Vordergrund und nicht das Trennende. Ob man nun Mitglied in der evangelischen oder der katholischen Kirche ist, ob man einer Freikirche angehört oder vielleicht gar keiner Konfession, das spielt keine Rolle – der gemeinsame Glaube an Jesus Christus steht im Zentrum.
"Am Anfang hatte man natürlich Vorurteile gegenüber den anderen Konfessionen", gesteht der aktuelle Netzwerkleiter Aris Neumann, "aber mittlerweile haben wir uns so gut kennengelernt, dass diese Vorurteile nicht mehr existieren und wir stattdessen so viel Schönes in den Traditionen der anderen entdeckt haben. Außerdem haben wir alle ein gemeinsames Ziel: Gott in Fulda groß machen." Neumann vergleicht die verschiedenen Konfessionen, die bei "All for One" vertreten sind, gern mit einem Mosaik: Jede Konfession ist ein eigenes, wunderbar gestaltetes Steinchen, aber nur zusammen ergeben sie ein wunderschönes Bild. "Wir wollen die Gemeinschaft verschiedener Christen feiern und die Einheit in Vielfalt fördern", bestätigt Hirsch.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Musik. Orgelklänge und Lieder aus dem Gesangbuch erwartet man beim Jugendgottesdienst von "All for One" vergeblich – stattdessen rocken die Musikerinnen und Musiker mit E-Gitarre und Schlagzeug die Bühne, den Text dazu projiziert der Beamer auf die Leinwand. Dieses Mal ist die "Outbreakband" zu Gast. Die christlichen Musiker haben seit der Gründung der Band 2007 schon mehrere Live-Alben herausgebracht und spielen europaweit Konzerte.
Juri und Mia Friesen von der "Outbreakband" sehen es als Privileg an, den Zuhörern durch die Musik dabei zu helfen, sich auf Gott einzulassen. "Unser 'Handwerk' ist für Gott da und wir verstehen uns auch als Priester, die Gottes Wort weitertragen", so Juri Friesen. Seine Ehefrau Mia Friesen sieht es als ihren Auftrag an, von ihren Erlebnissen mit Gott zu berichten. "Es geht immer um die Botschaft: ‘Hey, hier ist ein Gott, der ist zugänglich und der wartet auf dich und der will dir begegnen. Du bist nicht zu schlecht, und nicht zu klein, komm nach Hause‘", erzählt Mia Friesen.
Weitere musikalische Unterstützung kommt von der "All for One"-Hausband "One Collective". Eigentlich ist es mehr ein Kollektiv als eine Band, bestehend aus den Musikern der verschiedenen Gemeinden, die bei "All for One" dabei sind. Motivation der Musikerinnen und Musiker ist es, Gott zu danken und Musik zu seiner Ehre zu machen. Wichtig ist ihnen jedoch, dass dabei nicht der immer ähnliche Lobpreis- und Worship-Einheitsbrei mit hohlen Phrasen herauskommt. Sie wollen in ihrer Musik und ihren Texten die Vielfalt des Lebens abbilden – Party, Liebeshymnen und Momente der Freude gehören für sie genauso zum Glauben dazu wie Augenblicke der Trauer oder des Zweifelns. "Wir wollen andere dazu einladen, ganz offen darauf zuzugehen und es kennenzulernen", erzählt Sam von "One Collective".
Ein besonderer Fokus liegt bei "All for One" auf der missionarischen Jugendarbeit. Die Zielgruppe des Netzwerks sind 16- bis 35-Jährige – solche Menschen, für die es nach Konfirmation und Firmung und bis zur Hochzeit oder der Taufe der eigenen Kinder oft nur sehr wenig ansprechende Angebote in den Gemeinden der traditionellen Kirchen gibt. Dabei geht es nicht darum, Menschen zu irgendetwas zu überreden. "Wir machen einfach Werbung für die Schönheit eines Lebensstils, von dem wir überzeugt sind", so beschreibt Sam von "One Collective" das Vorhaben.
Und damit diese "Werbung" die richtigen Menschen erreicht, machen die Ehrenamtlichen bei "All for One" einiges anders: Über Glaube wird nicht im Bibelkreis im Gemeindehaus, sondern in zwangloser Atmosphäre in einer netten Bar geredet. Alle Infos gibt’s über modern designte Social Media Angebote und für die großen Event-Jugendgottesdienste gehen sie nicht in eine Kirche, sondern lieber in eine Disco oder eine Halle. "Mit ihrem Style sprechen sie junge Menschen wie mich an, finde ich. Und die coole Location hier zusammen mit der modernen Musik hat was", bestätigt der 20-Jährige Tobias. Er ist schon zum vierten Mal bei einem der Jugendgottesdienste. Hätte die Veranstaltung traditionell in einer Kirche stattgefunden, wäre er womöglich beim ersten Mal nicht hingegangen. "Kirche schreckt ab, da hat man irgendwie mehr Hemmungen, einfach mal reinzugehen und es auszuprobieren", sagt er.
Dass die Konfessionszugehörigkeit bei "All for One" im Allgemeinen und bei den Gottesdiensten im Besonderen keine Rolle spielt, kommt bei den Besucherinnen und Besuchern sehr gut an. "Ich stehe hinter der Vision, dass alle Christen zusammenkommen. Wir sind eine Familie und haben alle denselben Gott", erzählt die 29-Jährige Dorina. Für sie haben die Gottesdienste etwas von einem großen Familientreffen.
Miriam sieht das ähnlich. Anfangs war die 27-Jährige nur Teilnehmerin bei den Jugendgottesdiensten, die sie als lebendig und abwechslungsreich empfunden hat, dann machte sie einen der Glaubenskurse (acht Wochen lanq trifft man sich in Bars und Restaurants und spricht über Gott und den Glauben) und mittlerweile gehört sie zum Team der "Connect-Group", die sich alle zwei Wochen trifft oder auch Gebetsabende oder Konzertfahrten organisiert. "Ich finde es toll, dass wir in einem christlichen Rahmen Gemeinschaft schaffen und erleben können", erzählt sie. Es gibt einige, die nach Jugendgottesdiensten, den Glaubenskursen und den Treffen der "Connect-Group" für sich entschieden haben, dass sie ihren christlichen Glauben leben wollen und sich taufen ließen.
Auch die 27-jährige Lisa hat sich von der Atmosphäre des Gottesdienstes und der Predigt berühren lassen. "Die war einfach sehr gut, so schön und so nah dran an meiner Lebenswelt", schwärmt sie. Hirsch bezeichnete in seiner Predigt zum Beispiel Karfreitag als den wahren #FridayForFuture, als es nicht die Nägel gewesen seien, die Jesus am Kreuz gehalten hätten, sondern seine grenzenlose Liebe zu den Menschen. Das sei so revolutionär gewesen, dass kein Stein auf dem anderen geblieben sei.
Zu diesem Jugendgottesdienst hat Lisa ihre gleichaltrige Freundin Damla mitgebracht. "Sie war so begeistert davon und so hat sie mich dann dafür begeistert, mal mitzukommen", erzählt Damla, die keine Christin ist. Trotzdem hat sie sich offen auf den Gottesdienst und die Predigt eingelassen. Ihr Urteil fällt positiv aus: "Ich fand das Thema total zutreffend und das alles hier hat mich so sehr berührt, dass ich sogar geweint habe. Es gab echt einige emotionale Augenblicke."
Solche Momente erlebt auch Katharina vom Gebetsteam, die nach der Predigt mit vielen anderen Ehrenamtlichen darauf wartet, dass Menschen zu ihr kommen, um sich segnen oder für sich beten zu lassen. Und viele nehmen dieses Angebot an. Katharina hört sich die Anliegen und Probleme der Menschen an und versucht im Gebet, die passenden Worte zu finden. "Man spürt bei manchen schon Hemmungen, sie quälen sich mit der Frage, ob sie überhaupt kommen dürfen, aber am Ende merke ich, dass sie befreiter wirken", erzählt sie.
Ungefähr 200 Ehrenamtliche haben diesen Gottesdienst ermöglicht, mehr als 1.000 überwiegend junge Menschen sind gekommen, um sich die revolutionäre Botschaft von Jesu und Gottes Liebe anzuhören. Die krassen Gegensätze aus lauter Musik und ruhigen Momenten, aus unübersehbar leuchtenden Kreuzen und kleinen, kaum sichtbaren Zeichen der Nächstenliebe haben die engagierten Ehrenamtlichen des überkonfessionellen Netzwerks "All for One" zusammengebracht. Wenn man zu diesem Gottesdienst kommt, denkt man zuerst, dass man auf einem (christlichen) Konzert ist. Doch stückchenweise geht es in die Tiefe und dann merkt man, dass es um mehr geht als um Feiern und Spaß haben – es geht um Gott